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2. Typen archäologischer Objekte

2.1 Objekte aus der Nutzung des Geländes als
Nekropole

2.1.1 Felsfassadengrab

2.1.1.1 Namengebung

Unter Felsfassadengrab wird hier der Grabtyp verstanden, der
üblicherweise Felsgrab oder Felsengrab heißt. Die begriffliche
Präzisierung ist deshalb erforderlich, weil in unserer Nekro-
pole - wie auch anderwärts - andere wichtige Grabtypen
existieren, die ebenfalls aus dem Fels gearbeitet sind, aber kei-
ne Fels(en)gräber im gängigen Sinne darstellen, vor allem die
Schachtgräber, die typischerweise in den Fels getrieben sind
(s. unten § 2.1.4). Im Unterschied zu anderen Grabtypen, die
aus dem Fels gearbeitet sind, zeigen die Felsfassadengräber
eine aus dem Fels geschnittene Ansichtsseite/Fassade, durch
die die inneren Räume mehr oder minder horizontal betreten
werden. Dementsprechend, daß die Fassadenausbildung die
differentia specifica zu anderen aus dem Fels gearbeiteten
Gräbern darstellt, heißt dieser Grabtyp also Felsfassadengrab. —
Als Sonder- und Grenzformen dieses Grabtyps sind das Pseu-
do-Felsfassadengrab (s. unten §2.1.2) und ein Teil der Be-
stattungsnischen (s. unten § 2.1.3) zu betrachten.

2.1.1.2 Typologie

a) Grundlagen einer Typologie

Beim Felsfassadengrab handelt es sich genetisch nicht um ein
ganz oder in wesentlichen Teilen aus dem Fels herausgear-
beitetes Mastabagrab, wie das in vollem Umfang bei den Fels-
mastabas, z.B. denjenigen von Tihna und al-Hammämiya der
Fall ist. Vielmehr leitet sich das Felsfassadengrab einerseits von
der Mastaba und andererseits vom königlichen Totentempel
ab. Dabei bezieht sich die eine Entwicklungslinie auf die äu-
ßere Form, die andere auf das Raumprogramm. Die äußere
Form leitet sich über die Felsmastaba von der Mastaba her,
während das Raumprogramm ebenso wie das der Mastaba
direkt auf die königlichen Totentempel zurückzuführen ist3.
Wie im einzelnen auf diesem Hintergrund das Felsfassaden-
grab zu interpretieren ist, wie namentlich sem Raumpro-
gramm zu verstehen ist, hängt von der Interpretation der Ein-
zelzüge des Raumprogramms ab. Hier herrscht nun leider
nicht durchweg die notwendige Klarheit und Einsicht. Be-
dauerlicherweise haben nämlich die Ansätze von Jürgen
Brinks nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden, die,
wenn sie auch bislang nicht mit der vollen Breite des Mate-
rials der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgelegt sind,

doch bereits an einem ausgewählten Material ihre Fruchtbar-
keit gezeigt haben4. Als richtig darf erachtet werden

— erstens, daß das Raumprogramm der Mastaba, und damit
auch das des uns hier interessierenden Felsfassadengrabs,
grundsätzlich auf das Raumprogramm des königlichen To-
tentempels zurückgeht;

— zweitens, daß das Raumprogramm in weitem Umfang
nicht dem Zweck einer praktischen Nutzung dient, der es
bereits in den königlichen Totentempeln nur partiell dien-
te, sondern in beträchtlichem Umfang der Darstellung der
Ideal-Totenkult-Anlage, wie sie sich geschichtlich im kö-
niglichen Totentempel herausgebildet hat;

— drittens, daß der königliche Totentempel in der vollent-
wickelten Endform aus vier Teilkomplexen (s. unten) be-
steht, die charakteristische Raumsequenzen aufweisen;

— viertens, daß der Übernahme der königlichen Ideal-Toten-
kult-Anlage durch mcht-kömgliche Personen Grenzen ge-
setzt waren, daß der gesellschaftliche Rang und die »finan-
ziellen« Möglichkeiten einer nicht-königlichen Person be-
stimmte, welche königlichen Teilkomplexe übernommen
werden durften bzw. konnten; schließlich

— fünftens, daß die Barrieren für die Übernahme von Teil-
komplexen der königlichen Totenkult-Anlage im Laute der
Zeit niedriger wurden (»sinkendes« Kulturgut).

Uber die Herleitung und Interpretation der Teilkomplexe der
königlichen Grabanlage kann man im einzelnen geteilter
Meinung sein. Sicherlich sind die Interpretationen von Her-
bert Ricke, der zuerst solche Teilkomplexe unterschied und
funktional und genetisch zu interpretieren suchte1, in wesent-
lichen Punkten nicht haltbar. Dasselbe gilt für die modifizier-
te und weiterentwickelte Fassung der RiCKEschen Annah-
men, die Jürgen Brinks vorgelegt hat. Das kann hier nicht
diskutiert oder gar ausdiskutiert werden6. Worauf es in un-

3 Vgl. W. Schenkel, Die Typologie des Felsfassadengrabes, in: J. Ass-
mann/E. Dziobek/H. Guksch/F. Kampp, Thebanische Beamtenne-
kropolen, Heidelberg 1995, S. 169-183; P. Elsner, Strukturanalyti-
sche Untersuchungen altägyptischer Grabarchitektur (im Druck).

4 J. Brinks, Die Entwicklung der königlichen Grabanlagen des Alten
Reiches, Hüdesheim 1979, S. 71 mit Abb. 34 auf S. 73; id., in: LÄ,
s.v. Mastaba; id., Mastaba und Pyramidentempel - ein struktureller
Vergleich, in: GM 39, 1980, S. 45-60. - Verfasser dieses Abschnitts
[W. S.] hat darüber hinaus Ende der 70er Jahre die extensiven und
sehr instruktiven Analysen von Mastaba-Anlagen gesehen, die J.
Brinks in Vorbereitung einer Monographie über »Die Entwicklung
der nichtkönighchen Grabanlagen« (vgl. GM 39, S. 46, Anm. 4) aus-
gearbeitet hatte.

5 H. Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst des Alten Reichs,
Zürich 1944 und Kairo 1950.

6 In unserem Zusammenhang ist auch von zentralem Interesse, daß der
RiCKEschen Herleitung seiner drei Teilkomplexe aus frühzeitlichen
Grabanlagen einerseits in Abydos, andererseits in Saqqära (unten als

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