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NEUNTES KAPITEL

Das vitruvianiscli-ldassizistisclie Baroclc

Portocarraras diplomatischen Sieg realisierte
Ludwig XIV. 1711—14 in langen, die künst-
lerischen Kräfte des Landes aber keineswegs
lähmenden Kämpfen und setzte durch, daß sein Enkel Philipp von Anjou und
damit die Bourbonen den spanischen Thron bestiegen. Spanien verlor dabei
an England Gibraltar und Menorca, und an den Kaiser zunächst nur die Niederlande,
Mailand, Neapel, Sardinien und 1720 auch Sizilien. Spaniens Vorherrschaft in
Europa war damit endgültig gebrochen. Mit der neuen Dynastie brach wie in
der Politik so auch in der Kunst eine neue Ära an. In Italien wie Frankreich
hatte die palladianische über die michelangeleske Tendenz, Bernini über Borro-
mini und wiederum Perrault-Vitruv tiber Bernini gesiegt. Die Erfolge, die sowohl
die französische wie italienische Kultur in der ganzen Welt errungen, hatten
beiden Nationen das Gefühl einer unbedingten Überlegenheit verliehen. Der
Bourbone Philipp V. und seine Gattin Elisabeth von Parma aus dem Hause
Farnese mußten daher im Churriguerismus eine rtickständige Kultur erblicken.
Um ihr neues Land möglichst schnell auf die Höhe ihrer eigenen Heimat zu
erheben und selbst mit dem glänzenden Hof von Versailles in Wettbewerb treten
zu können, mußten der Kunst völlig neue Kräfte zugeführt werden. Man berief
daher aus dem Auslande die hervorragendsten Künstler und stellte sie auch
vor entsprechende Aufgaben. Um ein neues Geschlecht heranzubilden, gründete
man im ganzen Lande nach dem Pariser Vorbilde Kunstakademien. Von oben
herab war dem Lande eine neue Kunst befohlen worden und der absolutistisch
regierte Staat gehorchte willig, wenn man auch nicht vergessen darf, daß sich
dieser Rtickschlag schon innerhalb des Churriguerismus vorbereitet hatte. Charak-
teristisch für Spaniens rein dekorative Kunstauffassung ist es, daß das Streben
des ganzen Churriguerismus, der in der Grundrißanordnung zumeist zähe am alten,
strengen Schema festhielt, weniger auf das Entwickeln neuer barocker Raum-
bildungen, als auf die rein zeichnerisch dekorative Seite des Kunstschaffens gerichtet
war, und daß erst jetzt, wo man die Bauten in der offiziellen klassizistischen,
immer mehr an nüchterne Kälte streifenden Kunstform entwarf, sich in der
Grundrißdisposition das während des Churriguerismus vom Übermaß des
Formendranges gleichsam erstickte oder wenigstens zurückgedrängte barocke
Raumempfinden Bahn brach.

143. Die Bourbonen und die Kunst
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