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DER CREGLINGER M ARIENALTAR VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER

Endungen, die von der Forschung bislang nicht eindeutig eingeordnet und gedeutet werden
konnten.
So werfen zum Beispiel zwei Tympanonreliefs aus dem 12. Jahrhundert aus Cabestany und
Bourges bezügliche der Ikonographie einige Fragen auf. Auf dem Tympanon der Pfarrkirche
aus Cabestany565 (Abb. HO) sind nebeneinander einzelne Szenen dargestellt, die voneinander
geschieden werden müssen. In der Bildmitte des Typanon steht Christus, der segnend die rech-
te Hand erhoben hat. Links von ihm steht der Apostel Thomas mit dem Gürtel Mariens in sei-
nen Händen, und am linken Bildrand erhebt Christus, der durch den Kreuznimbus eindeutig
gekennzeichnet ist, eine Figur aus einem Sarkophag. Am rechten Bildrand wird Maria von
einer Mandorla hinterfangen und von Engeln erhoben. Rechts von dieser Bildfindung steht
Maria als Orante neben Christus. Schiller konstatiert hier eine völlig „singuläre Kompositions-
form“566, die eine „freie Schöpfung ... weit ab von Paris“ sei.5"7 Am linken Bildrand erhebe
Christus, so Schiller, Maria aus dem Grab, und am rechten Bildrand würde Maria in der Glorie
gepriesen, obgleich die Darstellung durch das Tuch, welches die Engel halten, an die Seelen-
aufnahme, der Levatio animae coelesti, erinnern würde. Auch Verdier hält das Relief für „tres
curieux“568, deutet die Szenen gegenüber Schiller aber etwas anders. In der linken Szene er-
kennt Verdier gemäß der Transituslegenden die Wiedererweckung Mariens (resurrectio) am
Grabe, deren wiedererweckter Leib dann am rechten Bildrand von Engeln in den Himmel auf-
genommen wird (assumptio corporis et animae'). Eingedenk der zwei Bildtypen für eine leibli-
che Aufnahme Mariens kann der Deutung von Verdier nur zugestimmt werden. In der Bildmit-
te stehen der segnende Christus und Maria als Regenten des Himmels, und der Apostel
Thomas hält als Nachweis der leiblichen Aufnahme Mariens, die an Maria in den beiden
Randszenen gemäß der Transituslegenden vollzogen wird, den Gürtel in seinen Händen. Das
„Kuriose“ der Tympanondarstellung liegt aber weniger in den einzelnen Bildfindungen be-
gründet, die alle einzeln nachgewiesen und eingeordnet werden können, sondern viel mehr
darin, daß die verschiedenen Bildtypen in dieser Art kombiniert wurden.
Das selbe Phänomen von kombinierten Bildtypen findet sich auf dem Tympanon der Kirche
St.-Pierre-le-Pullier aus Bourges569 (Abb. 111). Das stark zerstörte Tympanonrelief ist durch
eine Architektur horizontal in zwei Bildfelder geteilt. Im oberen Bildfeld können zwei Bildfin-
dungen eindeutig unterschieden werden. Im linken Teil des Bildfeldes halten zwei Figuren
einen Körper über einem Sarkophag. Weil die Figuren eindeutig keine Flügel besitzen oder je
besessen haben, können sie als Apostel und diese Bildfindung als die Grablege Mariens (depo-
sitio) durch die Apostel gedeutet werden, wie sie an den Kathedralen von Lausanne und Ami'

565 CABESTANY, Pfarrkirche, Tympanon, Ende 12. Jh.
566 Schiller 1980, S. 108.
567 Schiller 1980, S. 112.
568 Verdier 1980, 76f. - Vgl. auch Liebe 1991 [wie Anm. 457], S. 207: „frühes Beispiel für die leibliche Auferweckung •
Jacques GARDELLES, L’ceuvre du Mastre de Cabestany et les reliefs du cheteau de la Reole, in: Bulletin monumenta
134 (1976), S. 231-237.
569 BOURGES, St.-Pierre-le-Pullier, Tympanon, um 1175, Musee Berry (um 1950 abgenommen).
 
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