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Der Creglinger M arienaltar von Tilman Riemenschneider

betsform verpflichtet hat, konnte aufgrund der ungeklärten Standortfrage nicht nachgewiesen
werden. Die ikonologische Untersuchung und die daheraus resultierende Begründung einer
spezifischer Andacht lassen vermuten, daß der Creglinger Marienaltar von Tilman Riemen-
schneider an einer zentralen Stelle gestanden haben muß, wo er häufig zur privaten Andacht
genutzt werden konnte. Die private Andacht ist nicht nur auf einen abgeschlossenen Ort be-
schränkt, sondern sie wird hier als jede private Gebetsform verstanden, die ein Retabel auch im
öffentlichen Raum einfordern kann. Die Rosenkranzbilder von Veit Stoß und Riemenschnei-
der haben kurz vor dem Sankturium als Anbetungsobjekt der Laien gehangen; ein Laienaltar,
auf dem der Creglinger Marienaltar gestanden haben könnte, wäre als ursprünglicher Standort
einem Hochaltar vorzuziehen, dessen Retabel eher der Repräsentation als der Andacht dienten-
Das Argument eines Laienaltares als ursprünglicher Standort, an dem viele Menschen Zugang
gehabt haben können, spricht auch für die Herrgottskapelle. Hier hätte der Marienaltar in Zen-
trum der Kapelle und gut sichtbar für die Gläubigen gestanden. Gegen diese Annahme spricht
aber ein sehr viel schwerwiegenderes theologisches Argument, daß der Creglinger Altar expli-
zit ein Marienaltar darstellt und an dem Retabel nichts auf eine Verbindung zur Fronleich-
namsverehrung hinweist. Das Bildwerk des Schmerzensmanns im Gesprenge des Retabels
kann zum einen als eine gängige Figur auf vielen spätgotischen Altären gesehen, aber zum
anderen auch inhaltlich in Beziehung zu den ‘Sieben Freuden Mariens’ erklärt werden. Denn
ursprünglich wurden der Gottesmutter Maria die Freuden zum Trost zugesprochen, als sie an-
gesichts der Wunden und des Todes Christi trauerte. Auch die mittlere Predellennische kann
ohne die verehrte Hostie in der Herrgottskapelle erklärt werden. In ihr wird eine Monstranz
gestanden haben, wie es für die Predellen als Sakamentengehäus im Spätmittelalter üblich war-
Alle in der Herrgottskapelle befindlichen Retabel beziehen sich mit ihrem ikonographischen
Programm direkt auf die Patrozinien der Altäre. Nur das Bildprogramm des Marienaltares von
Tilman Riemenschneider bezieht sich an keiner Stelle auf das Altarpatrozinium des Fronleich-
nams, so daß die Frage nach seinem ursprünglichen Standort weiterhin unbeantwortet bleibt
und neu diskutiert werden muß.
 
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