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Simson, Otto von
Zur Genealogie der weltlichen Apotheose im Barock besonders der Medicigalerie des P.P. Rubens — Leipzig, Strassburg, Zürich: Heitz & Co., 1936

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2. Teil: Der neue Mensch und die Symbolik der menschlichen Gestalt
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1. Kapitel: Metaphysische Stellung des Menschen seit der Reformation. - Wandlungen des Glaubens
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https://doi.org/10.11588/diglit.63507#0122
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beiden Welten: so kann Christus nur als der erhabenste Aus-
druck, als das Sinnbild gleichsam dieses Wesens vorgestellt
werden. Damit aber wird der Sinn des Opfergedankens nicht
nur, sondern auch der Erlösung, wie ihn das Dogma verkündete,
verwischt. Der Mensch ist unmittelbar zu Gott. Hier wirken
nun Mystik und Stoa zusammen bei der Gestaltung des neuen
Weltbildes. Eine gewisse Autonomie der Seele gegenüber den
Heilsmitteln, wie sie die Kirche verwaltete, hatte schon die
Mystik verkündet. Als der Einfluß römischer Philosophie hin-
zutrat, wirkte beides: eine symbolfeindliche Innerlichkeit und
ein männliches Selbstbewußtsein dem Höchsten gegenüber, zu-
sammen, um den Sturz des mittelalterlichen Glaubensgebäudes
zu vollenden. Die menschliche Natur selbst ist es, die jetzt das
Erlösungswerk vollzieht. Den Wert der angeborenen Anlagen
haben die Reformatoren ebenso in die Mitte des sittlich-reli-
giösen Prozesses gestellt, wie die römischen Philosophen. In
der natürlichen Schöpfung Gottes selbst lag die Möglichkeit zur
Erfüllung der Gebote, zur Heiligung. Um gute Werke zu voll-
bringen, sagt Luther, müsse der Mensch zuvor schon gut sein,
so wie die guten Bäume eher sind als ihre guten Früchte.1) Und
für Zwingli ist in dem göttlichen Ursprung der Schöpfung auch
ihr gottverwandtes Wesen begründet.2) Erasmus endlich sieht
in Christus „non vocem inanem, sed nihil aliud quam charita-
tem, simplicitatem, patientiam, puritatem, breviter quidquid
ille docuit.“3) Die gewaltigste Umbildung innerhalb der christ-
lichen Metaphysik mußten diese Anschauungen hervorrufen.
In den größten Geistern der Zeit tritt uns ein Persönlichkeits-
gefühl entgegen, das seine Abhängigkeit von der stoischen
Philosophie erweist: die Lehre von der religiös-sittlichen Kraft
der Seele bestimmt damit das Verhältnis des Menschen zu Gott;
sie verdrängt die Gnadenmittel wie die guten Werke, die ehedem

*) Magnificat 1521.
’) „Cum igitur esse et existere orioi a sint quam aut vivere aut
operari, immo fundamenta horum sint, colligitur quod quaecunque vivunt
aut operantur ex quo et in quo sunt atque existunt“. De provid. cap. Hl.
16 b; vergl. Dilthey a. a. O. S. 44 ff.
3) Enchiridion militis christiani, op. ed. Cleric V., 25; vergl. Dilthey
ibid.

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