MADONNA DELLA SEDIA. 293
kennen. Was uns als die Frucht einer augenblicklichen Stimmung, hervor-
gerufen und begünstigt durch einen glücklichen Anblick, erscheint, ist in
Wahrheit eine allmählich gereifte Schöpfung der Phantasie, bei welcher
auch weise Erwägungen mitwirkten. Leugnen lässt sich aber nicht, dass
Raffael selbst zu der ersteren Meinung durch die Fülle des naiven un-
mittelbaren Lebens verlockt, welche er über die ganze Gruppe ausbreitet.
Die Madonna ist in der That in Zügen, Ausdruck und Körperbau eine
echte Römerin; auch ihre Tracht, das gestreifte Kopftuch, ferner das in
das gefranste Brusttuch eingewebte Muster, die Art, wie jenes getragen,
dieses um die Schultern gewunden wird, zeigt das Weib aus dem Volke.
Der Wirklichkeit abgelauscht und mit köstlicher Wahrheit wieder-
gegeben erscheint auch die Haltung des Christkindes, so namentlich das
spielende Zurückbiegen der Zehen des rechten Fusses. Die technische
Ausführung könnte gleichfalls auf den ersten Blick zu dem Glauben einer
raschen Improvisation verleiten. Rasfael hat die Farbe leicht aufgetragen,
die einzelnen Töne einfach ohne weitere Verbindung neben einander
gesetzt, oft nur mit einigen wenigen Pinselstrichen die Formen angedeutet.
Dennoch möchte einen argen Irrthum begehen, wer daraus auf eine
flüchtige,Arbeit schliessen würde. Die geniale Sicherheit des vollendeten
Künstlers liess die kurze Arbeit ganze Arbeit werden. Seine Thätigkeit
als Frescomaler hatte ihn gelehrt, sich nicht allzusehr auf die Wirkungen
des Vertreibens der Farben und des wiederholten Uebergehens der ein-
zelnen Stellen zu verlassen, sondern die Töne von allem Anfange an fest
und bleibend zu bilden. Dieselbe Thätigkeit, verbunden mit dem freudigen
Eingehen auf den malerischen Stil, hatte ihm den breiten Auftrag, das
kräftige Schattiren, die modellirende Färbung nahe gebracht. Allen
Gewinn des römischen Lebens setzte er ein, um das liebgewordene
florentiner Traumbild der Madonna, welche süll seiig das Mutterglück
geniesst, noch einmal zu verkörpern, durch die Anwendung grossartiger
Kunstmittel zu verklären.
Es ist das letzte Mal, dass Rasfael in seinen Schöpfungen auf die
eigene künstlerische Vergangenheit zurückkommt, gleichsam einen Rück-
blick sich gönnt. Seitdem taucht keine Erinnerung an die florentiner
Zeiten in seinen Bildern auf, bewegt er sich ausschliesslich in den Geleisen,
welche erst in Rom gelegt wurden. Beinahe gleichzeitig mit dieser
Wendung trat auch ein Wechsel in seinem äusseren Leben ein. Papst
Julius IL starb am 20. Februar 1513.
Mit Fug und Recht darf seine Regierung als der wichtigste Mark-
kennen. Was uns als die Frucht einer augenblicklichen Stimmung, hervor-
gerufen und begünstigt durch einen glücklichen Anblick, erscheint, ist in
Wahrheit eine allmählich gereifte Schöpfung der Phantasie, bei welcher
auch weise Erwägungen mitwirkten. Leugnen lässt sich aber nicht, dass
Raffael selbst zu der ersteren Meinung durch die Fülle des naiven un-
mittelbaren Lebens verlockt, welche er über die ganze Gruppe ausbreitet.
Die Madonna ist in der That in Zügen, Ausdruck und Körperbau eine
echte Römerin; auch ihre Tracht, das gestreifte Kopftuch, ferner das in
das gefranste Brusttuch eingewebte Muster, die Art, wie jenes getragen,
dieses um die Schultern gewunden wird, zeigt das Weib aus dem Volke.
Der Wirklichkeit abgelauscht und mit köstlicher Wahrheit wieder-
gegeben erscheint auch die Haltung des Christkindes, so namentlich das
spielende Zurückbiegen der Zehen des rechten Fusses. Die technische
Ausführung könnte gleichfalls auf den ersten Blick zu dem Glauben einer
raschen Improvisation verleiten. Rasfael hat die Farbe leicht aufgetragen,
die einzelnen Töne einfach ohne weitere Verbindung neben einander
gesetzt, oft nur mit einigen wenigen Pinselstrichen die Formen angedeutet.
Dennoch möchte einen argen Irrthum begehen, wer daraus auf eine
flüchtige,Arbeit schliessen würde. Die geniale Sicherheit des vollendeten
Künstlers liess die kurze Arbeit ganze Arbeit werden. Seine Thätigkeit
als Frescomaler hatte ihn gelehrt, sich nicht allzusehr auf die Wirkungen
des Vertreibens der Farben und des wiederholten Uebergehens der ein-
zelnen Stellen zu verlassen, sondern die Töne von allem Anfange an fest
und bleibend zu bilden. Dieselbe Thätigkeit, verbunden mit dem freudigen
Eingehen auf den malerischen Stil, hatte ihm den breiten Auftrag, das
kräftige Schattiren, die modellirende Färbung nahe gebracht. Allen
Gewinn des römischen Lebens setzte er ein, um das liebgewordene
florentiner Traumbild der Madonna, welche süll seiig das Mutterglück
geniesst, noch einmal zu verkörpern, durch die Anwendung grossartiger
Kunstmittel zu verklären.
Es ist das letzte Mal, dass Rasfael in seinen Schöpfungen auf die
eigene künstlerische Vergangenheit zurückkommt, gleichsam einen Rück-
blick sich gönnt. Seitdem taucht keine Erinnerung an die florentiner
Zeiten in seinen Bildern auf, bewegt er sich ausschliesslich in den Geleisen,
welche erst in Rom gelegt wurden. Beinahe gleichzeitig mit dieser
Wendung trat auch ein Wechsel in seinem äusseren Leben ein. Papst
Julius IL starb am 20. Februar 1513.
Mit Fug und Recht darf seine Regierung als der wichtigste Mark-