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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0100
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Zweiter Abschnitt: 1819—1850.

unwillkürlich ergriffen, die jüngeren Zeitgenossen aber konnten des begeisterten Lobes kein Ende
finden, allen voran Thiers, der damals als Kunstkritiker und Journalist seine Laufbahn begann.
Delacroix schritt auf dem eingeschlagenen Wege mit leidenschaftlichem Eifer vorwärts.
Der Salon von 1824 brachte das Gemetzel auf Chios — ein Gemetzel der Malerei nannte es
Gros —, eine Szene aus dem griechischen Freiheitskriege, in der alle Greuel brutalsten Kampfes,
Mord, Plünderung, Entführung in ergreifender Weise uns vor Augen gebracht werden. In
den folgenden Jahren malte er sodann die Enthauptung des Dogen Marino Falieri (Abb. 82),
Sardanapal auf dem Scheiterhaufen, die Ermordung des Bischofs von Lüttich (nach Walter-
Scotts Beschreibung in Quentin Durward) usw. Auch die damals noch neue Erfindung der
Lithographie wurde vou Delacroix in Dienst genommen. Er zeichnete auf Stein eine Reihe
von Szenen aus Goethes Faust uud Götz, sowie aus Shakespeares Hamlet, Blätter, die den

84. Paolo und Francesca da Rimini, von Ary Scheffer. London, Wallace Collection.
(Phot. Mansell)


Vielumfassenden Reichtum seiner Phantasie und ihren ausschließlich malerischen Zug ebenso
trefflich versinnlichen wie feine Ölgemälde. Die lithographierten Blätter besitzen überhaupt für
die ältere französische Kunst des neunzehnten Jahrhunderts die gleiche Wichtigkeit wie die Ra-
dierungen für die holländische Kunst des siebzehnten.
Der Gedankenkreis der Maler hatte eine merkwürdige Umwandlung erfahren. Sie knüpften
entweder an Ereignisse der unmittelbaren Gegenwart an, gaben den Sympathien der liberalen
Partei offenen Ausdruck, oder sie entlehnten die Gegenstände der Darstellung den Dichtern der
modernen Welt: Dante, Shakespeare, Goethe, Byron, Walter Scott. So wenige verwandte
Züge sonst die deutsche und die französische Romantik besitzen: in dem einen Punkte stimmen
sie überein, daß sie das Band zwischen der Poesie und der Malerei enger schnüren und auch
für die Schönheit der Poesie fremder Völker einen offenen Sinn zeigen. Hervorragende Träger
der französischen Bildung hatten sich in der Revolutionsperiode als Verbannte mit der Kultur-
anderer Völker befreundet; das Interesse au historischen Studien war dem Ausblick in fremde
Länder, besonders England, günstig; in einzelnen Dichtern, namentlich Byron, trasen die Ro-
 
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