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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0101
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4. Die Romantiker in Frankreich.

mantiker auf den vollendeten Ausdruck der leidenschaftlichen Stimmungen und stürmischen Emp-
findungen, die in ihnen gärten. So fügten sich alle Umstände zusammen, um den Gedanken-
kreis der Künstler weit über die nationalen Grenzen hinaus zu erweitern und der französischen
Kultur jenen liebenswürdigen, nach außen offenen, weltmännischen Charakter zu verleihen, der
die Restaurationsperiode vor früheren und späteren Zeitaltern so sehr auszeichnet.
Auch die künstlerische Behandlung des romantischen Gedankenkreises empfing, vornehmlich
durch Delacroix, einen durchgreifenden Wechsel. Delacroix malte seine Werke früher, als er sie
zeichnete. Hatte er seine Komposition in den allgemeinen Umrissen festgestellt, so gruppierte
er alsbald die Farbentöne, hier durch unmittelbare Nachbarschaft komplementärer Farben (z. B.
Orange neben Blau, Grün neben Rot) die Wirkung jeder einzelnen steigernd, dort durch un-
gleiche Stärkemischung desselben Tones (z. B. reines Blau neben Graublau) die Gegensätze
mildernd. Erst nachdem er die Farben in größeren Massen harmonisch geordnet, ging er daran,
die Zeichnung im einzelnen genau zu vollenden. Der Gesamteindruck der Werke Delacroix' ist
dadurch ein entschieden malerischer geworden. Das Auge sättigt sich zunächst an dem Anblick
des mächtigen Gewoges und Kampfes der Farben, an der verhaltenen Glut des Kolorits, an
dem schließlichen Wohlklang seiner Harmonien. Bei schärferer Zergliederung des Bildes be-
merkt es dann freilich, daß der Farbenwirkung zuliebe die Hauptlinien der Komposition häufig
zerschnitten werden, die Zeichnung der Figuren oft hart, ihre Bewegung gewaltsam, selbst un-
natürlich erscheint. Man hat diese Fehler auf die mangelhafte Zeichenkenntnis des Künstlers
zurückführen wollen. In der Tat machte ihm auch die Zeichnung die größten Schwierigkeiten,
und während er die Farbenwirkung stets mit der größten Sicherheit traf, mühte er sich in
zahlreichen genauen Studien ab, den Anforderungen an eine korrekte Zeichnung zu genügen.
Doch würde man dem Meister großes Unrecht tun, wenn man meinte, er betone deshalb die
Koloritwirkung fo stark, um dahinter feine Unzulänglichkeit als Zeichner zu verbergen. Wer
den Mann kannte, mit dem kräftigen Kopse auf dem schwächlichen Körper, mit seiner nervösen
Reizbarkeit und seinem fieberhaften Fleiß, wer sich vertraut machte mit feinen Schriften -—
denn Delacroix führte die Feder ebenso kühn wie den Pinsel —, wer endlich wußte, daß er
sich nur in einer tropischen Temperatur ganz Wohl fühlte, der war überzeugt, daß seine Kunst-
weise der reine Ausdruck seiner Persönlichkeit war.
Die romantische Richtung fand in kunstgebildeten Kreisen begeisterte Zustimmung, Delacroix'
revolutionärer Vorgang eifrige Nachahmung. So trat der aus Holland stammende, aber in
Paris erzogene Arp Scheffer (1795—1858) im Salon 1827 mit feinem Suliotenbilde auf,
offenbar durch Delacroix' Gemetzel aus Chios angeregt, und wenn er auch später in der künst-
lerischen Ausfassung von der ursprünglichen romantischen Schule sich weit entfernte, so bewahrte
er doch, so lange er lebte, die Neigung, aus Dichtern (Goethe und Dante) den Inhalt seiner
Bilder zu schöpfen (Abb. 84). Man kann überhaupt kaum einen Maler nennen, der nicht den
Einfluß der von den Romantikern eingeleiteten Geisterbewegung an sich erfahren hätte, mochte
auch die konsequente Durchführung ihrer Grundsätze viele zurückschrecken. Denn populär im
strengen Sinne des Wortes war die romantische Richtung keineswegs, ihr Schlagwort: Kunst
für Kunst, in weiteren Kreisen wenig verständlich. Die historische Richtung, die zwar auch auf
die schärfere individuelle Charakteristik und die unmittelbare Lebendigkeit der Darstellung den
Hauptnachdruck legte und Koloritwirkungen nachging, aber auch die Bedeutung des Inhalts gern
mit in Anschlag brachte, sagte den weiteren Kreisen ungleich besser zu.
Die Pariser Salons in den zwanziger Jahren brachten eine große Zahl von Bildern,
die Gegenstände der nationalen Geschichte darstellten. Schon damals gewann von allen Mit-
bewerbern Paul Hippolyte Delaroche (1797—1856) die öffentliche Meinung am meisten
 
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