Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0150
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
126

Dritter Abschnitt: 1850—1870.

rischen Vortrags, die auf einen neuen Weg deuten und stark genug sind, sich gegen die Ein-
wirkungen des Klassizismus siegreich zu behaupten.
Au diese Trias knüpfen die Künstler an, die nun den Ruhm der englischen Malerei
weiterführen. Eine Reihe hervorragender jüngerer Porträtisten setzt ihr Werk fort und begründet
mit ihnen den Weltruf der britischen Bildniskunst, die sich bis heute auf beneidenswert hohem
Niveau erhalten hat. Neben Romney, dem bedeutenden Konkurrenten Reynolds' und Gains-
boroughs, der noch ganz dem achtzehnten Jahrhundert angehört, nimmt hier Thomas Law-
rence (1769—1830) den ersten
Platz ein. Er wird der rechte
Nachfolger Sir Joshuas im
Glanz seiner Laufbahn und
feines äußeren Lebens wie in
seinen Erfolgen bei der eng-
lischen, ja der europäischen Ge-
sellschaft seiner Zeit, die sich
vor seiner Staffelei drängte,
und deren elegante, gelehrte,
schöne und stolze Frauen und
Männer er in einer schier un-
übersehbaren Reihe von Bil-
dern auf die Nachwelt brachte
(Abb. 127). Lawrence hat nicht
die ausschöpfende Kraft der
Menschendarstellung, die den
beiden älteren Meistern eigen
war, die Riesenzahl der Auf-
träge mußte schließlich auf die
Qualität drücken, aber er steigt
im Geschmack seiner farbigen
Arrangements oft unmittelbar
bis zu ihrer Höhe empor. Die
Kultur des englischen Lebens,
die in seine Werke strömt, drückt
auch den scharf modellierten,
durch individuelle Charakteristik ausgezeichneten Porträts des Schotten Henry Raeburn (1756
bis 1823, Abb. 128) und den delikaten Frauenbildern von John Höppner (1758 —1810,
Abb. 129) ihren Stempel auf.
Die Porträtmalerei ist es auch, die den wenigen englischen Vertretern der „großen Malerei"
im kontinentalen Sinne die Verbindung nut der lebendigen Kunst ihres Vaterlandes sichert. Denn
die Bestrebungen, den Stil des Klassizismus und der Historiendarstellung in dem Jnselreiche
einzubürgern, haben mit der nationalen Entwicklung der dortigen Produktion gar nichts zu
tun; sie sind wie ein ausgepfropftes Reis, das nach kurzem Dasein wieder abstirbt, ohne das
Wachstum des Baumes selbst irgendwie zu berühren. Schon bei Reynolds erscheinen die
wenigen Versuche, mit denen er sich ohne sonderliches Glück aufs Gebiet der „geschichtlichen"
Komposition begab, als Arbeiten, die seinem Wesen fremd sind. Noch weiter fort von der
großen Linie der englischen Kunst führen seine Nachfolger auf diesem Irrwege. So James

131. Ruth, von Thomas Stothard.
Nach der Radierung von James Heath („Studio").
 
Annotationen