220
Dritter Abschnitt: 1850—1870.
236. Tischgebet, von Franz Defregger.
(Phot, von F. Hanfstaengl)
Was diese Künstler erstrebten, war im Hinblick ans die Eroberung der umgebenden Wirklichkeit
und des Lebens zweifellos ein Fortschritt. Da man die Menschen des Bürgerstandes, der die
neue Welt regierte, im allgemeinen schon ihrer Praktisch-nüchternen Kleidung wegen als un-
pvctisch und künstlerisch unbrauchbar ansah — eine Auffassung, von der nur wenige vorurteilslose
Meister abwichen —, so hielt man sich vorab lieber an Vorwürfe, bei denen man wenigstens
durch die Wiedergabe ungewöhnlicher und bunterer Trachten die Farbe ihre Spiele entfalten
lassen und den bourgeoisen Käuser reizen konnte. Da waren zunächst die Uniformen der Sol-
daten, die darum in der Vorbereitungszeit des Realismus eine solche Rolle spielten. Dann
die interessanten Trachten fremder Völker, namentlich der Italiener, die seit Riedel eifrig studiert
wurden. Schließlich aber auch die Reste malerischer Kostüme, die man in deutschen Tälern
und Gebirgen noch reichlich antraf. Im Schwarzwald, im bayerischen Hochgebirge, in Tirol
fand man, was man suchte, und man griff wieder eifriger als bisher auf die Holländer des
siebzehnten Jahrhunderts zurück, die das Volksleben als eine unerschöpfliche Quelle malerischer
Vorwürfe erkannt hatten. In München namentlich, wie in Düsseldorf, waren die alten nieder-
ländischen Meister nie völlig vergessen worden, wenn die klassizistische Ästhetik sie auch verächt-
lich als „Affen der Natur" abgetan zu haben glaubte. Zugleich aber mit den Holländern
gaben nun ihre Erben, die Engländer, den deutschen Künstlern neuen Mut, und David Wilkie
erschien ihnen als ein Führer. Schon in einem früheren Abschnitt war von den Anfängen der
Bewegung die Rede. Es war nur natürlich, daß alle diese Keime in München, das damals
Dritter Abschnitt: 1850—1870.
236. Tischgebet, von Franz Defregger.
(Phot, von F. Hanfstaengl)
Was diese Künstler erstrebten, war im Hinblick ans die Eroberung der umgebenden Wirklichkeit
und des Lebens zweifellos ein Fortschritt. Da man die Menschen des Bürgerstandes, der die
neue Welt regierte, im allgemeinen schon ihrer Praktisch-nüchternen Kleidung wegen als un-
pvctisch und künstlerisch unbrauchbar ansah — eine Auffassung, von der nur wenige vorurteilslose
Meister abwichen —, so hielt man sich vorab lieber an Vorwürfe, bei denen man wenigstens
durch die Wiedergabe ungewöhnlicher und bunterer Trachten die Farbe ihre Spiele entfalten
lassen und den bourgeoisen Käuser reizen konnte. Da waren zunächst die Uniformen der Sol-
daten, die darum in der Vorbereitungszeit des Realismus eine solche Rolle spielten. Dann
die interessanten Trachten fremder Völker, namentlich der Italiener, die seit Riedel eifrig studiert
wurden. Schließlich aber auch die Reste malerischer Kostüme, die man in deutschen Tälern
und Gebirgen noch reichlich antraf. Im Schwarzwald, im bayerischen Hochgebirge, in Tirol
fand man, was man suchte, und man griff wieder eifriger als bisher auf die Holländer des
siebzehnten Jahrhunderts zurück, die das Volksleben als eine unerschöpfliche Quelle malerischer
Vorwürfe erkannt hatten. In München namentlich, wie in Düsseldorf, waren die alten nieder-
ländischen Meister nie völlig vergessen worden, wenn die klassizistische Ästhetik sie auch verächt-
lich als „Affen der Natur" abgetan zu haben glaubte. Zugleich aber mit den Holländern
gaben nun ihre Erben, die Engländer, den deutschen Künstlern neuen Mut, und David Wilkie
erschien ihnen als ein Führer. Schon in einem früheren Abschnitt war von den Anfängen der
Bewegung die Rede. Es war nur natürlich, daß alle diese Keime in München, das damals