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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0268
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226

Dritter Abschnitt: 1850—1870.

wie nach der pathetischen Seite verklärt. Auch bei ihm sind wir im Theater, nicht an der
Hofbühne, aber im volkstümlichen Münchner Gärtnerplatztheater, wo die „lebfrischen Buabn"
und die „herzigen Madln", die gutmütigen Förster und die Enzian suchenden alten Weiber, die
stolzen Bauern und die schwarzäugigen Wilderer, die aber im Herzen doch ehrliche Kerle sind,
trinkend, singend, raufend, Zither fpielend und schuhplattelnd in Alpenfestkostümen das bayerische
Landvolk repräsentieren. Die Rauheit und Schwere, die rustikale Eckigkeit und Derbheit der
Gebirgsbewohner erscheint wie mit einer dünnen Schicht fataler rosa Schminke verdeckt. Immerhin
ist die Versüßlichung nicht so weit getrieben, daß sie alle Frische aus Defreggers Bildern ver-
jagte. Von wenigen Arbeiten der späteren Zeit abgesehen, in denen das vergnügliche Natur-
burschentum allerdings in einer leblosen Schablone erstarrte, hat er trotz seiner Schwächen stets
einen Humor von wirklicher Gesundheit und einem angeborenen Charme an den Tag gelegt
(Abb. 236), dem seine ungeheure Popularität wohl zu gönnen ist. Auch wenn er die Historien-
malerei Pilotys aus seine bajuvarische Bauernwelt in Anwendung brachte, kam er gelegentlich,
wie in dem „Letzten Aufgebot" der alten Bauern, die zum tiroler Freiheitskampf ausziehen,
zu charaktervollen und malerisch interessanten Leistungen. Doch die urwüchsige Kraft seiner
Frühzeit blieb unwiederbringlich verloren.
Diesen Führern schloß sich ein unübersehbares Heer von Nachfolgern an. Matthias
Schmid (geb. 1835), E. Kurzbauer (1840—1879), Hugo Kausfmann (geb. 1844), der
Sohn Hermann Kauffmanns, Wilhelm Riefstahl (1827 —1888) und andere blieben beim
Landvolk. Eduard Grützner (geb. 1846), auch ein Piloty-Schüler, der von dem Meister auf
das seinen Fähigkeiten entsprechende Stoffgebiet gewiesen wurde und von ihm eine vortreffliche
malerische Ausrüstung erhielt, suchte in den Klöstern bei weinliebenden, wohlgenährten Mönchen
nach harmlos humoristischen Motiven, die er überreichlich fand (Abb. 237). Andere wieder
zogen in die Städte, um hier ueue Stoffe zu genremäßigeu Darstellungen zu finden. Der
Ernst der politisch erregten Zeit wies die Maler um die Mitte des Jahrhunderts schon hier
und dort auch auf die soziale Anekdote. Aber eine Anekdote mußte es immer sein, eine kleine
Geschichte, aus der sich ohne Mühe lehrsame Betrachtungen und eine leicht faßliche „Moral"
ziehen lassen konnten.
Zu gleicher Zeit aber machen sich doch auch Anzeichen für eine andersartige Beeinflussung
der deutschen Malerei durch die koloristischen Fortschritte des Auslandes bemerkbar. Die Farben-
freude der französischen Romantiker, das Streben zu einheitlicher malerischer Stimmung, wie
sie von den Meistern des lutirus ausgebildet worden, befruchten die Deutschen, die
suchend nach Westen ziehen, und indirekt die Heimgebliebenen, denen sie das in der Fremde
Erlernte weitergeben. Eine hervorragende Rolle in dieser Übergangszeit spielt namentlich die
Künstlerschaft Frankfurts. Hier hatten Philipp Veit und Eduard von Steinle, die in den drei-
ßiger Jahren an das Städelsche Institut berufen worden waren, nazarenische Keime angepflanzt,
und wir werden später sehen, wie lange dieser romantische Zug nachwirkte. Die Beiden hatten
jedoch auch eine solide Kunst des schlichten malerischen Ausdrucks gepflegt, die vor allem in ihren
Porträts zu so schönen Resultaten führte und auf das jüngere Geschlecht Eindruck machte. Auch
die beiden Genremaler düsseldorfischer Schulung, die nun in Frankfurt die Anekdotenkunst ein-
zuführen suchten und das rheinische Bürger- und Bauernleben schilderten, Jakob Becker (1810
—1872) und Anton Burger (1824—1905, Abb. 238), blieben davon nicht unberührt.
Mehr noch verrieten andere Künstler die Unbefangenheit und den feinen Malersinn der Natur
gegenüber, die in Frankfurt gepflegt wurden. So Angilbert Göbel (1821—1882), der schon
in den fünfziger Jahren soziale Themata mit großem Griff anzupacken wußte. Oder Peter
Becker (1828 —1904) und Jak. Fürchtegott Dielmann (1809 —1885), die eine intime
 
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