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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0312
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270

Dritter Abschnitt: 1850—1870.

Perlmutter, ziselierter Bronze und Elfenbein für den „Salon" ganz Europas wieder maßgebend.
In England und Frankreich schützte wenigstens die alte Kultur der großen Hauptstädte London
und Paris, in denen sich seit Jahrhunderten alle nationalen Kräfte wie in einem Brennpunkt
gesammelt hatten, die Gesellschaft vor allzu schlimmer Geschmacksverwilderung. In Deutschland,
wo diese festen Lebensformen und Kulturtraditionen fehlten, stürzte man sich ohne Bedenken in
den tollen Strudel einer skrupellosen historischen Imitation. Überdies fehlte jede Sicherheit
des Gefühls für die einfachsten Gesetze des dekorativen Schmucks. Die Weberei, die Stickerei,
die Porzellankunst ergötzten sich an Imitationen der Ölmalerei, die Teppich- und Tapeten-


292. Puuschbowle, Entwurf von Gottfried Semper.

industrie wollte in mißverstandenem Rokoko-Naturalismus Blumen und Buketts in grober
Wirklichkeitsnachahmung zu Flachornamenten vergewaltigen.
Die aufgeregte Hetzjagd durch die Völker und durch die Jahrhunderte aber machte bei uns
auch im Kunstgewerbe allmählich einem historischen Stile Platz: der deutschen Renaissance. Das
erwachende Nationalgefühl rief sie herbei, die Wiederaufrichtung des Reiches brachte sie zur Blüte.
Man sehnte sich nach einem deutschen Geschmack. Auch in Wien ward dieser Ruf laut; Eitelberger
und Falke waren eifrig für das neue Ideal tätig. Im Reiche wurde München führend, wo zwei Künst-
ler von genialer Begabung für die Formenfprache des sechzehnten Jahrhunderts wirkten: Rudolf
Seitz (geb. 1842) und Lorenz Gedon (1843—1883, Abb. 292a), dessen architektonische Be-
mühungen schon erwähnt wurden. Von München aus gab außerdem Georg Hirth (geb. 1841)
durch große Verlagswerke wie den „Formenschatz der Renaissance", „Das deutsche Zimmer", „Das
 
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