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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0313
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5. Die historischen Stile in Plastik, Architektur und Kunstgewerbe.

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kulturgeschichtliche Bilderbuch", den besten Kreisen der Künstler- und Laienschaft entscheidende
Anregungen. Freilich, was diese Männer aus künstlerischer Begeisterung predigten, ward von
der Industrie rasch trivialisiert, und es entstanden allerorten die „stilgerechten" Renaissance-
zimmer mit Butzenscheiben, „altdeutschen" Sofas —- als wenn man im sechzehnten Jahrhundert
in Deutschland Divans und Sofas gehabt hätte! —, mit fchweren Truhen, mächtigen geschnitzten
Büfetts, riesigen Humpen, „altdeutschen" Ofen und „Lutherstühlen", die alle so wenig zum
Charakter und der Kleidung ihrer Besitzer passen wollten. Das deutsche Kunsthandwerk stieg
durch diese, immerhin aus einer gesunden Empfindung hervorgewachsene Renaissanceströmung
in der internationalen Achtung, man kaufte unsere Fabrikate im Auslande und ahmte sie sogar
nach. Es kam frisches Leben in den vordem so verödeten Betrieb. Aber der ungeheure Wider-
spruch zwischen dem Empfinden und Bedürfnis der neuen Zeit und den historischen Stilformen,
die den Kindern vergangener Jahrhunderte das Leben geschmückt und verschönt hatten, blieb
hier wie überall bestehen. Erst das letzte Menschenalter des neunzehnten Jahrhunderts suchte
diesen Widerspruch radikal aus der Welt zu schaffen, indem es sich ein Kunstgewerbe schuf, das
seine Formen wie seinen Schmuck lediglich aus den Gebrauchszwecken und den Bedingungen
des Materials logisch entwickelte und den Söhnen der neuen Zeit die Möglichkeit zu verschaffen
strebte, in der Ausstattung ihrer Wohnräume, in der Gestaltung jedes Gebrauchsstückes und
jedes Luxusgegenstandes einen Ausdruck ihres Wesens zu finden.

292 s. Sopraportafigur von L. Gedon.
 
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