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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0331
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1. Der Impressionismus und die Franzosen.

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mehr in der Gestalt einer griechischen Göttin, sondern als ein kleines Dirnchen von halb un-
schuldiger Sinnlichkeit auftritt.
Ein Landschafter wieder ist Alfred Sisley (1839 —1899), der sich nahe an Monet
hielt und wie dieser als ein Analytiker des Freilichts das flimmernde Spiel der Sonne über
dem zitternden Laub grüner Büsche und Bäume, über freundlichen Villenhäusern und bunten
Gärten, über welligem Wiesengelände und hüpfenden Flußwellen mit unendlicher Zärtlichkeit
studierte (Abb. 300). Sisley war dabei in der Farbe oft kräftiger als Monet und operierte
viel mit den starken Effekten der Komplementärfarben. Seine ganze Kunst hatte einen männ-
lichen, großen Zug, ein sicheres Stilgefühl. Doch bei aller persönlichen Freiheit der malerischen
Umdichtung war er ein treuer Diener der Natur, es steckt unendlich viel ernste Arbeit in seinen
Bildern, und es ist durchaus erklärlich, daß die jüngste Generation der französischen Land-


302. Kuuststudium, von H. Fantiu-Latour. Nach einer Zeichnung des Künstlers.
(Gazette des Beaux-Arts)

schaster sich so stark an Sisley gefesselt fühlt. In Moret, nahe bei Paris, wo er ein kleines
Landhaus besaß, hat sich in den letzten Jahren eine ganze Kolonie festgesetzt, die zu ihm als
ihrem Meister emporfieht.
Zwischen Monet und Sisley steht Camille Pissarro (1830—1903), der Patriarch
der Impressionisten, der Senior der „Uools äss IMtiAuoHsZ", deren Mitglieder sich in den
sechziger und siebziger Jahren oben aus dem heiligen Berge von Montmartre um Edouard
Manet scharten. Unter allen diesen Franzosen ist keiner, dessen Kunst dem deutschen Empfinden
näher kommt als Pissarro. Auch er ist in alle Geheimnisse des Lichts und der zitternden
Luft der Atmosphäre eingedrungen, aber in seinen Bildern schlummert, unbewußt und tief ver-
hüllt, eine Empfindung, von der sich unsichtbare Fäden zur Seele des Beschauers herüber-
ziehen, ohne daß der Maler absichtlich auf solche Wirkungen hingearbeitet hätte. Pissarro war
zuerst von dem lyrischen Subjektivismus Corots beeinflußt; dann von der getragenen Poesie der
anderen Fontainebleauer; schließlich von der methodischen Schärfe seiner impressionistischen
Freunde. Mehr noch als seine Genossen hat er es geliebt, die Hauptmotive, die er sich wählte,
 
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