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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0486
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418

Vierter Abschnitt: 1870—1900.

460. Der Märtyrer Tarcisius, von A. Falguiöre. Marmor. Paris, Luxembourg.


4. Moderne Elastik und Architektur.
Die Malerei, als die führende Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, war in dem Be-
freiungskampf vorangegangen, die andern Künste folgten. Auch Plastik und Architektur fanden
in den letzten Jahrzehnten völlig neue Wege. Wir sahen schon früher, wie sich die Bildhauer-
kunst langsam aus der Umarmung des akademischen Stils befreite, wie der Anschluß an die
Kunst der Barockzeit eine neue Freude an sinnlich kraftvollen Formen und stärkerer Bewegung
mit sich gebracht hatte, und wie in Frankreich ein jüngeres Geschlecht aus intimerem Natur-
studium zu neuen und freieren Ausdrucksmitteln gelangte. Das Problem, um das es sich bei
der modernen Plastik handelte, war nicht so leicht zu lösen. Denn die Kunst der reinen Form,
dies Symbol alles Gefesteten, in sich Geschlossenen, stand von Hause aus in einem natürlichen
Gegensatz zu dem Geist einer Zeit, in der sich alle festen Formen der Anschauungen und Begriffe
zu lösen begannen. Eine Epoche, die in Richard Wagners unendlicher Melodie den letzten
Ausdruck ihrer Empfindung, in Manets wogenden Lichtfluten ein Abbild ihres Sehens sand,
deren Denken in die hymnischen Aphorismen Nietzsches zerflatterte, konnte nicht so ohne weiteres
die Mittel finden, in Stein und Erz das auszudrücken, was ihr Innerstes bewegte.
Frankreich bleibt auch fernerhin an der Spitze. Zwar die Denkmalssucht der letzten Jahr-
zehnte, die in Deutschland und Italien, wo sie mit der Herstellung der nationalen Einheit zu-
sammenhing, wahre Orgien feierte, hat auch die Franzosen nicht verschont und in Paris wie in
den Provinzstädten eine schwere Menge schwächlicher und phrasenhafter Monumentalskulpturen
entstehen lassen. Doch die alte solide Technik der französischen Bildhauer schützte sie dabei immer-
hin vor den schlimmsten Entgleisungen. Überdies war man in Frankreich vorurteilslos genug,
auch dem revolutionären Künstler gelegentlich einen Denkmalsaustrag anzuvertrauen, und eine
neuerdings vielfach beliebt gewordene Form, die man für die Ehrung bedeutender Männer fand:
eine Büste, deren Sockel von wenigen allegorischen Gestalten umgeben ist, hat manche reizvollen
Resultate gezeitigt. So hat Raoul Beriet es sogar gewagt, in seinem originellen Maupassant-
 
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