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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0537
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6. Kunst und Leben.

469

Von England aus wanderten die neuen Prinzipien über den Ozean, wo die Gesetze der
Sachlichkeit und des Komforts bei den Amerikanern auf inniges Verständnis stießen, und über
den Kanal. Zunächst nach Belgien, wo Serrurier und nach ihm Henry van de Velde
das gesamte Gebiet der Innendekoration reformierten und, wie wir bei Horta sahen, auch auf
die Architektur hinüberwirkten. Van de Velde hat im Laufe der Jahre alle Zweige des
Kunsthandwerkes befruchtet, die Möbel und die Stoffe, die Silbersachen und die Schmuck-
stücke, die Tapeten und die Portieren, die Damenkostüme und die Fächer, die Beleuchtungs-
körper und den Buchschmuck, die Glasfenster und die Teppiche. Sein Heiligtum ist das Gesetz
der Zweckmäßigkeit, aus dem er als einzig erlaubten Schmuck, der von der Erkenntnis der
Entstehung des Gegenstandes nie ablenken soll, die geschweifte und sich windende Linie entwickelt,
die abstrakte, niemals Erinnerungen an irgend welche realen Dinge der Natur erweckende van
de Velde-Linie in ihrem unendlichen Fluß, die eine interessante Zeiterscheinung neben dem
malerischen und plastischen Impressionismus und dem Auflösen der alten musikalischen Formen
ist und wohl als das Symbol einer Sehnsucht gedeutet werden mag, die sich ihrer Unerfüll-
barkeit bewußt ist. In ihr erblickt er den Ausdruck unseres Wesens, in ihr den einzig wahrhaft
dekorativen Schmuck. Alle Beziehungen zu Blumen- und Tiersormen werden streng aus-
geschaltet, sie sind ihm Überbleibsel der Renaissance — und Renaissance, das ist „ein ver-
brecherisches Spiel des Lebens mit dem Tode". Van de Velde hat mit dieser dogmatischen
Strenge und logischen Schärfe sich hauptsächlich zu einem Meister für solche Aufgaben erzogen,


526. Fayence-Vase,
von M. Länger.

527. Vorhang in der Wohnung eines Wiener Kunstfreundes,
von I. Olbrich.
 
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