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In den Sagen erscheinen die Steinfiguren der Ruinen-
stätte in einer Mannigfaltigkeit, welche sich jetzt in der
Wirklichkeit nicht mehr nachweisen lässt, und es gewinnt
den Anschein, dass einige von den in den Sagen angeführten
statuarischen Formen, welche gegenwärtig nicht mehr vor-
handen sind, früher wirklich existirt haben.

Finden sich doch auch viele Bildsäulen, welche noch
Cieza gesehen hat (wie eine grössere Zahl von solchen in
Ak-kapana), jetzt nicht mehr vor.1)

Im Anschluss an die Berichte der Schriftsteller bleibt
nur noch die Frage zu erörtern, welche Statuen Cieza
unter den zwei gigantischen, „vorwärts vom Berge" stehenden
gemeint hat.2)

Für denjenigen, welcher, wie vielleicht Cieza that, vom
Norden (Nordwesten) kommt, ebenso für denjenigen, der
vom Dorfe Tiahuanaco aus die Ruinenstätte betritt, ist die
Gegend „vorwärts vom Berge" (Cieza: ,mas adelante del
Cerro') die vom Berge aus östliche. Darum kann kaum ein
Zweifel darüber bestehen, dass Cieza die von ihm erwähnten
zwei gigantischen Figuren in der östlichen Umgebung des
Berges gesehen haben muss.3)

In dieser Gegend fand d'Orbigny noch den gigantischen
Kopf der Tafel 35.

Aus der Analogie des Kopfes der Tafel 35 mit den
Köpfen der Bildsäulen Tafel 31 Figur 1 und 2 lässt sich schliessen,
dass der Körper der Figur, zu welcher der Kopf der Tafel
35 gehörte, den Körpern jener anderen Bildsäulen ähnlich
war. Von einer derartigen Bildsäule hätte Cieza sicher,
ausser der Grösse, die künstlerische Ausführung, den krönenden
Kopfputz und die Länge der Gewandung als Hauptpunkte in
der Beschreibung hervorheben können.

Nur die Frage nach der zweiten derartigen Figur, welche
Cieza ausserdem noch östlich von Berge gesehen haben
müsste, ruft Schwierigkeiten hervor. Denn es fehlt jetzt auf
der Ruinenstätte jede Spur einer zweiten gleich grossen
Figur.4)

J. v. Tschudi hatte dem Anscheine nach die Bildsäulen, welche von der
Ruinenstätte stammen, vergessen, als er, Beiträge p. 202, die Vermuthung aussprach,
dass die alten Sagen über die Verwandlung von Menschen in Stein eine mythische
Erklärung der Steinpfeiler von Ak-kapana geben sollten.

1) Die stehenden und sitzenden Figuren, welche Alcobaza (bei Garcilaso)
anführt, lassen sich noch jetzt constatiren. Die Figuren mit Bechern in der Hand
(oben No. 2 und 3) sind als solche merkwürdig. Alcobaza erwähnt sie bei der
Aufzählung der Steinfiguren der Ruinenstätte (,bebiendo con los vasos en las
manos'). Wenn Joan de Santa er uz berichtet, dass die Bewohner von Tiahuanaco
während einer Schlemmerei von der Gottheit in Steine verwandelt worden seien
(p; 7 a): entendiendo en sus borracheras y bayles, . . toda la gente questauan bay-
lando se quedö hechas piedras', so bezieht sich diese Sagenform ganz speciell auf
die Figuren, welche Trinkbecher in den Händen halten.

Es fehlen dagegen jetzt die Figuren von Frauen und solche von Frauen
mit Kindern, auf welche von Molina (oben p. 6a), von Betänzos (oben p. 5a:
,hizo de piedra . .. mujeros pretiadas y otras paridas, y que los niiios tenian en
cunas, segun su uso') und Alcobaza (oben p. 4a: ,otras Estatuas estän con crea.
turas en las faldas, y regaco otras los llevan acuestas, y otras de mil maneras')
hingedeutet wird.

Die Uebereinstimmung von Alcobaza und Betänzos in ihren Nachrichten
lässt es denkbar erscheinen, dass einzelne der Darstellungsformen, auf welche beide
anspielen, thatsächlich vorhanden gewesen sind.

Hr. Inwards hat Diego de Alcobaza den Vorwurf gemacht, dass die von
ihm erwähnten Bildsäulen, nach im Leben vorkommenden Typen überhaupt, weder
jetzt in Spuren an der Ruinenstätte erkennbar seien, noch auch in den Berichten
anderer Schriftsteller sich fänden. Beides ist, allgemein gesprochen, unrichtig,
wie es nach den vorausgehenden Erörterungen verständlich sein wird. Allerdings
ist Alcobaza's Bericht über die Bildsäulen auch von irrthümlichen oder miss-
verstandenen Nachrichten nicht vollständig frei. Er führt auch Figuren von Men-
schen an, welche es nicht gegeben haben kann: ,que van pasando vn arroyo, que
por entre aquellos Edificios pasa'.

2) A. d'Orbigny hat (Voyage p. 342) die Stelle auf den grossen Kopf der
Tafel 35 bezogen, ebenso G. Squier p. 29C.

3) Hr. Mitre giebt an, dass Cieza die beiden gigantischen Steinfiguren in
der Nähe von Pumapungu gesehen habe. Hierin liegt nicht eine Auffassung der
Cieza'schen Stelle, welche von der oben im Text gegebenen abwiche. Denn
Hr. Mitre verlegte Pumapungu nach dem Osten des Berges.

41 Die Bildsäule Tafel 31 Fig. 1 muss an Grosse nicht unbeträchtlich hinter
derjenigen, deren Kopf auf Tafel 35 wiedergegeben ist, zurückgestanden haben.
Sie befindet sich jetzt überdies an einem anderen Orte. Wenn man annehmen
wollte, dass sie die zweite der gigantischen Bildsäulen, welche Cieza beschrieb,
gewesen sei, so würden jetzt andererseits jene grossen Bildsäulen vollständig fehlen,

Wir können uns dagegen nicht entschliessen, wie Hr.
Mitre es gethan hat, die Beschreibung zweier gigantischer
Figuren auf die beiden Bildsäulen zu beziehen, welche jetzt
am Portale vor dem Hofe der Kirche von Tiahuanaco stehen.
Denn Cieza würde sie dann keinenfalls sehr glücklich be-
schrieben haben, während wir sonst allen Anlass haben, ihn
für einen guten Beobachter, der auch in seiner Schilderung
das Richtige trifft, zu halten.5)

Die oben unter Nr. 1 bis 21 angeführten Bildsäulen
sind in Bezug auf die Darstellungen und in Bezug auf den
Stil mannigfaltig. Die Bildsäulen gehören keineswegs nur
einerlei Stilart an. Einige Formen der Darstellungen sind
häufiger vertreten, andere finden sich nur vereinzelt. Eine
ähnliche Ungleichmässigkeit zeigt sich in den Vertretungen
der verschiedenen Stilarten.

Von besonderer Häufigkeit müssen Darstellungen der
Art von Tafel 31 Figur 1 und 2 (mit oder ohne Beigaben in
den Händen) gewesen sein. Zu ihnen gehören in dem oben
gegebenen Verzeichnisse die Statuen und Statuentheile
Nr. 1 bis 8. Nr. 6 nimmt, für den Fall, dass dieser Torso
von d'Orbigny richtig wiedergegeben worden ist, was aber
fraglich erscheint, darunter vielleicht eine Sonderstellung ein.
Diese Darstellungen stimmen im Stile eng mit denen des
Thores, Tafel 8 u. a., überein.6)

Die kleinen Bildsäulen, welche oben unter Nr. 12
und 13 erwähnt sind, stehen der Hauptfigur des Thores
sogar besonders nahe. Sie sind wie diese in Relief gehalten
und konnten ihr darum in manchen Beziehungen auch dem
Inhalte nach noch mehr gleichen. Sie bilden, obwohl im
Einzelnen weniger ausgeführt, in ihrem Typus Gegenstücke
zur Hauptfigur des Thores.

Eine kleine selbständigere Gruppe wird von den Bild-
säulen Nr. 16 bis 18 gebildet. Doch entsprechen dieselben
im Stile den Bildsäulen der ersten Gruppe.

Dagegen weichen die Bildsäulen Nr. 9, 10 und 11 in
der Art der Ausführung und in der Feinheit der Anlage
weiter ab, sie sind auch unter einander verschieden. Dennoch
schliessen auch sie sich noch, in allgemeinerem Sinne, dem
Stile der zuerst genannten Figuren an. Man kann darüber
zweifelhaft sein, ob man sie für älter, geringere gleich-
zeitige Werke, oder für aus etwas späterer Zeit stammend
halten soll.

Als eine höchst originelle Erscheinung nicht allein unter
den Statuen von Tiahuanaco, sondern unter allen Dar-
stellungen statuarischer Form, welche je von Menschenhand
gebildet worden sind, darf die Bildsäule Nr. 20, Tafel 32

auf welche Cieza auch bei der Beschreibung von Ak-kapana angespielt zuhaben
scheint (,muchas destas piedras que digo, estan labradas de diferentes maneras y
algunas dellas tienen forma de cuerpos de hombres, que deuieron ser sus ydolos').

Es darf nicht als völlig ausgeschlossen gelten, dass eine zweite gigan-
tische Bildsäule von der Grösse derjenigen, deren Kopf sich jetzt in La Paz be-
findet, noch zu Cieza's Zeit vollständig erhalten war und seitdem spurlos ver-
schwunden ist.

5) Nur die Paarigkeit der gigantischen Bildsäulen passt in Cieza's Be-
schreibung besser auf die beiden Bildsäulen der Tafel 33 als auf die vom Charakter
derjenigen des Kopfes der Tafel 35. Die Angabe von F. de Castelnau, dass
die ersteren eingegraben gefunden worden seien, begünstigt schon nicht die An-
nahme, dass Cieza diese beiden Bildsäulen gesehen und beschrieben hätte.
Wo dieselben gefunden worden sind, ist unbekannt. Stammen sie von einem
anderen Theile der Ruinenstätte als der Kopf der Tafel 35, so würde schon da-
durch die Annahme ziemlich sicher widerlegt sein, dass Cieza sie beschrieben
haben könnte. Es würde ausserdem schwer zu verstehen sein, weshalb Cieza
diesen Statuen, welche unter den Bildsäulen der Ruinenstätte keine ungewöhn-
lichen Grössenverhältnisse bieten, für die Werke grosser Meister kaum in irgend
welcher Beziehung angesehen werden können, die Körperbekleidung nur schwach
angedeutet erkennen lassen, eine so ausführliche Beschreibung gewidmet haben
sollte, worin gerade die besondere gigantische Grösse, die Trefflichkeit der Aus-
arbeitung und die Länge der Bekleidung hervorgehoben werden.

6) Hr. Inwards kann keinen Grund dafür gehabt haben, dass er der Statue
Tafel 31 Figur 2, einen etwas jüngeren Stil als den des Reliefs des Thores zuge-
schrieben hat, zumal da er die Statue nur von der Rückseite betrachten konnte.

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