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ZUR DEUTUNG DES RELIEFS DES MONOLITH THORES VON AK-K AP ANA.

Durch die Feststellung, dass die Bauwerke der Ruinen-
stätte in einer vorincaischen Culturperiode Perus aufgeführt
worden sind, und durch den bestimmten Hinweis auf die Re-
ligion, deren Cultus sie zweifelsohne dienen sollten, beginnen
nunmehr sich auch die Gestalten des Thorreliefs von Ak-
kapana für unser geistiges Auge zu beleben.

Wir sehen in ihnen das kostbarste Vermächtniss aus
einer längst vergangenen Rehgionsperiode. An diesen Ge-
stalten müsste man, wenn ihre Deutung bereits in allen
Theilen möglich wäre, die über das Wesen der alten Religion
gewonnenen Anschauungen beträchtlich vertiefen können,
und so weit dies noch nicht möglich, bleibt wenigstens die
Hoffnung bestehen, dass solches in der Zukunft einmal ge-
lingen werde.

Das Mythologische in der Darstellung offenbart sich
darin, dass von den Figuren, welche diejenige der Mitte
umgeben, die menschlich gebildeten, Flügel haben, die mit
Thierköpfen versehenen eine seltsame Mischung thierischer
und menschlicher Bestandtheile aufweisen.1) Auch die Figur
der Mitte2) würde man schon wegen ihrer reichen, durch den
Strahlenkranz glänzenden Ausstattung und wegen wunder-
licher anderer Abzeichen (Thierköpfe am Gürtel, an den
Fransen u. s. w.) nicht anders als auf einen Gott deuten können.
Sie ist der souveraine Gott, welchem hier Schaaren geflügelter
überirdischer Diener huldigen.3) Fast gewinnt es den An-
schein, als wäre der darunter sich hinziehende Fries gleichsam
dazu bestimmt, jene Huldigungsscene von der Erde nach
einem überirdischen Schauplatze zu entrücken.4) Doch lässt
sich auch an ihm die mythologische Bedeusamkeit erweisen.

Der Gott ist nach menschlicher Art bekleidet5), soll also
gewiss nicht für menschenfeindlich gehalten werden. Der
breite Strahlenkranz verbildlicht seine Pracht; seine beiden
Scepter bekunden seine hohe hierarchische Stellung6), wäh-
rend sich seine von ihm als Gott unzertrennlichen, verderb-
lichen Kräfte in den an den Ellbogen hängenden Menschen-
köpfen7), sowie in den Pumaköpfen am Gürtel und an den
Fransen offenbaren. Auch der kleine liegende Condor am
oberen Ende des rechten Scepters dürfte eine tiefere Be-
deutung haben, wenn wir sie auch zur Zeit noch nicht
kennen.8)

Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, dass

1) Taf. 5 Fig. 2 und Taf. 15.

2) Taf. 8.

3) D'Orbigny sali in der Mittelfigur einen allmächtigen König mit den
beiden Sceptern der politischen und religiösen Hoheit, in den geflügelten Figuren
Repräsentanten unterworfener Nationen, und zwar in den mit Condorliöpfen ver-
sehenen solche von unterworfenen, aber noch nicht civilisirten Stämmen.

t Hr. Mitre, p. 35, verglich die Huldigungsscene mit der Figur Gottes und
der sie umgebenden Engel in Murillo's Concepcion. Das Verhältniss zwischen
einem Herrn und einem Schwärm von Dienern und das Geflügeltsein der Diener
bilden allerdings nicht ungeeignete Vergleichungspunkte zwischen beiden dem
Ursprünge nach so verschiedenen Werken.

4) Cieza, Chronica, Cap. 101: „Estos naturales del Collao dizen, . . que el
hazedor de todas las cosas se Haina Ticeuiracocha: y conocen, que su assiento
principal es el eielo."

5) Taf. 9; oben p. 24a und Taf. 21 Fig. 3, Beschreibung.
0) Oben p. 24 a.

7) Oben p. 24 a.

8) Vögel sind ähnlich an den scepterartigen Stäben der Goldfiguren der
Tschibtscha dargestellt und hier als lebende gedacht. Kultur und Industrie
südam. Völker, Band I, Taf 21 Fig. 9, 10, 17 und 18, Band II, p. 54 a.

der Kopf der Hauptfigur mit einer geringen Abweichung9)
den im Friese enthaltenen Gesichtern gleicht und dass ebenso
der Sockel der Hauptfigur und der Sockel des mittelsten
Gesichtes (1) im Friese in wesentlichen Punkten einander
entsprechen.10) Nun darf es als unzweifelhaft betrachtet werden,
dass die Gesichter des Frieses das Antlitz der Sonne darstellen
sollen. Denn wir sind durch Garcilaso11) genau davon unter-
richtet, dass auch im Sonnentempel Coricancha in Cuzco die
Sonne als Gesicht mit Strahlen (wie in den Bildern in der Alten
Welt) wiedergegeben war, und finden zum Ueberfluss auch in
der Relacion von J. de Santa er uz Skizzen zweier heiliger
Tafeln aus jenem Tempel mit Abbildungen der Sonne, welche
Garcilaso's Beschreibung entsprechen.12) War das Bild der
Sonne für die Kunst irgendwo in Peru in dieser Weise fest-
gestellt, so wird man sich der gleichen Form auch zu den
verschiedensten Zeiten und an den verschiedensten Orten be-
dient haben, wo es galt, das Bild der Sonne vorzuführen.

Muss man demnach annehmen, dass auch die Haupt-
figur die Sonne13) vorstellen soll? Es scheint nicht so.
Dem Verhältniss der Grösse und der Ausführung nach ist
die Hauptfigur mit den Gesichtern des Frieses gar nicht zu
vergleichen. Sie nimmt eine souveräne Stellung ein, welche
die Gesichter des Frieses nicht besitzen. Wenn die Haupt-
figur die Sonne nicht vorstellt, so müsste sie wohl Viracocha
I sein sollen. Es wird aber nirgends gesagt, dass Viracocha
ein weniger prächtiges Aeussere besessen habe, als die Sonne,
welche er der Sage nach erschuf.14) Auch erschien Vira-
cocha dem Inca Yupanqui mit dem vollen Glänze, welcher
der Sonne eigen ist.15) Darum würden wir die Annahme für
vollständig zulässig erachten, dass die Figur Viracocha und
nicht die Sonne vorstellte.16)

Die drei mal zehn17) geflügelten Figuren der Seiten
könnten vielleicht als Neben-Viracochas18) oder als mythische
Stammhäupter, geschaart, wie sie den Schöpfer vor ihrer
Aussendung nach den verschiedenen Districten Perus um-

9) Zwei Condorköpfe an den beiden Seiten des Strahlenkranzes sind durch
Pumaköpfe ersetzt, ausserdem fallen die Strahlen an der unteren Seite des
Gesichtes halsschmuckartig herab, statt wie bei den Gesichtern des Frieses
radial gestellt zu sein. Tafel 18, Beschreibung; Tafel 17.

10) Taf. 18, Beschreibung, und p. 23 a und 24 b Anm. 13.

11) Comment. Reales, Buch III Cap. 20: „En el Testero, quellamamos Altar
mayor, tenian puesta la Figura del Sol, hecha de vna plancha de Oro, al doble
mas gruesa que las otras planchas, que eubrian las paredes. La Figura estava
hecha con su rostro en redondo, y con sus rayos, y Hamas de fuego, todo de
vna pieca, ni mas, ni menos que la pintan los Pintores."

12) Tres Relac. de Antigued., p. 256 und 257. Dass die Gesichter des Frieses
die Sonne darstellen sollen, hat bisher wohl nur Hr. Forbes (On the Aymara
Indians, p. 112) bestritten, welcher die dafür oben gegebenen Beweise wohl
nicht kannte.

13) Die Sonne wurde als Mann gedacht, Molina, p. 5: . . „when the sun,
in the form of a man, was ascending into heaven".

14) Das Bild des Gottes Viracocha wurde in Cuzco am Feste Hatun Raimi
über das der Sonne gestellt, oben p. 61a.

15) Betänzos, Cap. 11.

16) Die Verf'ertiger des Reliefs verfügten nur über eine beschränkte Zahl for-
maler Motive. Zur Ausgleichung der auf diese Weise entstehenden Lücken be-
nutzten sie andere, ihnen noch sonst zu Gebote stehende Motive in abweichendem
Sinne. So entsprechen die Köpfe der Fische im Brustornament der Hauptfigur
(Taf. 9) und im Ornament des Sockels (Taf. 10) den Pumagesichtern der Fransen
unter dem Gürtel in Tafel 9; der Schwanz des Fisches in Tafel 9 ist durch das
stutzartige Ornament gegeben; u. s. w.

17) Oben p. 26.

18) Oben p.55a und 57b. Auch die Neben-Viracochas sind nach der Relacion
anönima (Tres Relac. de Antig., p. 140) verehrt und bildlich dargestellt worden.

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