von Wänden nicht in, sondern neben dem Winkel, in welchem
sie zusammenstossen (Tafel 36 Figur 2 bei D und E, und
Tafel 36 Figur 4 an der Fläche zwischen den beiden Consolen).1)
Hr. Markham S. 294 und 306 rechnete die Ruinen
von Tiahuanaco architektonisch zu den Vertretern des
kyklopischen Stiles. Mit dem kyklopischen Stile haben jedoch
die Ruinen nichts gemein. Es entscheidet über die Stilart
nicht die Grösse der Blöcke, sondern die Art der Bearbeitung
derselben. Ebensowenig kennt der kyklopische Stil con-
structive und ornamentale Durchbildungen der Facaden, welche
für die Architektur der Ruinenstätte charakteristisch sind.
Der Baustil der Ruinenstätte ist den künstlerischen
zuzurechnen. Der künstlerische Charakter ist vielleicht ein
primitiver. Doch sind sowohl in Bezug auf Steinbearbeitung,
wie in constructiver Hinsicht (Simse Taf. 6 N und 0, Taf. 38
Fig. 22 u. s. w.), krönende Streifen (Taf. 6 L, Taf. 36 Fig. 2)
und in Bezug auf freiere Ornamentation der Facaden (vertiefte
Kreuze Taf. 37 Fig. 10 und 12, vertiefter Condorkopf Taf. 38
Fig. 23, Nischen Taf. 6, 28 und 29, 36 Fig. 3 bis 5, 7 und S,
Thor- und Nischenrahmen, Thorverdachungen) alle Grund-
elemente künstlerischer Bauweise gegeben.
In allen Abmessungen, welche die Gebäude, die Thor-
und Fensteröffnungen, die Facaden und die übrigen Ver-
zierungen im Ganzen betreffen, zeigt sich die Architektur
künstlerisch durchaus massvoll. Das Ungewöhnliche besteht
nur in der geringen, in gewisser Hinsicht primitiven Gliederung
der ganzen Werke in einzelne Bestandtheile und in der
dem entsprechenden verhältnissmässig bedeutenden Grösse der
letzteren.
Es ist uns unbekannt, ob an einer anderen Stelle der
Erde eine ähnliche Architektur zur Entwickelung gelangt ist.
Jedenfalls würde sie zu den grössten Seltenheiten gehören.
In der Kunstgeschichte der Völker hat eine Architektur
dieses Charakters als ein Glied in der Entwickelung der Bau-
kunst bis jetzt noch keine Stelle gehabt. Selbst der Name
muss erst noch für sie gefunden werden. Man könnte sie viel-
leicht „megalithische Architektur" oder „megalithische
Baukunst" nennen. In der Bezeichnung Architektur oder
Baukunst würde enthalten sein, dass die Bauweise eine künst-
lerische ist, in „megalithisch" das andere Moment dieser Archi-
tektur, die Grösse der verwendeten Blöcke, ausgedrückt
sein. In „megalithisch" wäre die unbestreitbare allgemeine
1) Es finden sich in Aegypten wohl Steinfügungen, welche mit denen in
Tiahuanaco in Parallele gestellt werden können. Ein Beispiel hietet vielleicht
der unterirdische Tempel südöstlich von der grossen Sphinx, welcher aus ältester
Zeit datirt. Es besteht aus rechtwinkelig zusammenstossenden Mauern, welche
aus mächtig grossen, polirten Granitblöcken aufgeführt sind. Die Verbindung
dieser Wände ist nicht durch Versatz bewerkstelligt, sondern durch Winkelstücke,
welche zwischen den Wänden die Ecken bilden. In Folge dessen finden sich,
was auch für die baulichen Constructionen von Tiahuanaco aus Baustücken zu
entnehmen ist, in den Ecken der zusammenstossenden Wände keine Fugen.
Aehnlichkeit mit den sogenannten „megalithischen Denkmalen",
den ersten und primitivsten Versuchen menschlicher Bau-
thätigkeit (wie Stonehenge, Dohnen u. s. w.) enthalten,
während der Begriff „Architektur" und „Baukunst" den
fundamentalen, principiellen Gegensatz zwischen den künst-
lerischen Werken der Ruinenstätte und jenen rohen me-
galithischen Zusammenfügungen von Steinen zu erkennen
geben würde.
Die Art der Gliederung der Facaden (Simse, krönende
Streifen, Nischen in den Blöcken u. s. w.) und die Grössen-
verhältnisse der für sie verwendeten Blöcke stehen in der
Architektur der Ruinenstätte in einem Gegensatze zu einander.
Auch erscheint es nicht denkbar, dass ein derartig hoch-
entwickelter Häuserbau, auf dessen Ueblichkeit die westliche
Facade des Monolith-Thores von Ak-kapana (Taf. 6), ganz
abgesehen von ihrem sonstigen architektonisch-künstlerischen
Charakter, hindeutet, auf dem Wege der Entwickelung der
megalithischen Architektur zur Ausbildung gelangt sein könnte.
Die constructiven Einzelheiten in der Gliederung der
Facaden (besonders die Simse, krönenden Streifen) deuten auf
die Ausbildung der constructiven Formen innerhalb des Holz-
baues hin. Der ganze Facadenstil, der ganze an der Westseite
des Monolith-Thores von Ak-kapana so überraschend ent-
wickelte Hausbaustil ist also aus der Holzarchitektur in die
Steinarchitektur der Ruinenstätte übertragen worden. Die
formalen architektonischen Einzelheiten, welche in der Stein-
architektur der Ruinenstätte uns an einem Steine entgegen-
treten, ergaben sich in der Holzarchitektur durch die Zu-
sammenfügung einer ganzen Anzahl getrennter Bestandtheile,
und sind jedenfalls zum grösseren Theile nur auf solche Weise
entstanden. In der Steinbauweise der Ruinenstätte liegt also
die Uebertragung aus einer, viele Stücke verwendenden, und
dadurch z. Th. weit ausgebildeten Holzarchitektur in eine
wenige Stücke verwendende, und deshalb verschiedene formale
Einzelheiten auf einem Steine vereinigende, megalithische
Architektur vor.
Holz fehlt auf der bolivianischen Hochebene. Der Holz-
baustil, welcher an den Steinblöcken der Ruinenstätte durch
das fremdartige Material durchscheint, muss also in einer
anderen wärmeren Gegend zur Ausbildung gelangt sein. Dies
Resultat ist von hoher Wichtigkeit. Es beweist, dass die
ganze auf der Ruinenstätte von Tiahuanaco sich zeigende
Kultur nicht autochthonen Ursprunges ist, sondern sich über
den Schultern einer anderen in wärmerem Klima ausgebildeten
Kulturform ein Stück weiter erhoben hat. Mit dieser Er-
kenntniss dringt ein vereinzelter Strahl über das Dunkel,
welches die Ruinenstätte selbst umgiebt, hinaus in die noch
dunklere, noch schwerer, wenn überhaupt je aufzuhellende
Vorgeschichte der Kultur des Thaies von Tiahuanaco.
30
sie zusammenstossen (Tafel 36 Figur 2 bei D und E, und
Tafel 36 Figur 4 an der Fläche zwischen den beiden Consolen).1)
Hr. Markham S. 294 und 306 rechnete die Ruinen
von Tiahuanaco architektonisch zu den Vertretern des
kyklopischen Stiles. Mit dem kyklopischen Stile haben jedoch
die Ruinen nichts gemein. Es entscheidet über die Stilart
nicht die Grösse der Blöcke, sondern die Art der Bearbeitung
derselben. Ebensowenig kennt der kyklopische Stil con-
structive und ornamentale Durchbildungen der Facaden, welche
für die Architektur der Ruinenstätte charakteristisch sind.
Der Baustil der Ruinenstätte ist den künstlerischen
zuzurechnen. Der künstlerische Charakter ist vielleicht ein
primitiver. Doch sind sowohl in Bezug auf Steinbearbeitung,
wie in constructiver Hinsicht (Simse Taf. 6 N und 0, Taf. 38
Fig. 22 u. s. w.), krönende Streifen (Taf. 6 L, Taf. 36 Fig. 2)
und in Bezug auf freiere Ornamentation der Facaden (vertiefte
Kreuze Taf. 37 Fig. 10 und 12, vertiefter Condorkopf Taf. 38
Fig. 23, Nischen Taf. 6, 28 und 29, 36 Fig. 3 bis 5, 7 und S,
Thor- und Nischenrahmen, Thorverdachungen) alle Grund-
elemente künstlerischer Bauweise gegeben.
In allen Abmessungen, welche die Gebäude, die Thor-
und Fensteröffnungen, die Facaden und die übrigen Ver-
zierungen im Ganzen betreffen, zeigt sich die Architektur
künstlerisch durchaus massvoll. Das Ungewöhnliche besteht
nur in der geringen, in gewisser Hinsicht primitiven Gliederung
der ganzen Werke in einzelne Bestandtheile und in der
dem entsprechenden verhältnissmässig bedeutenden Grösse der
letzteren.
Es ist uns unbekannt, ob an einer anderen Stelle der
Erde eine ähnliche Architektur zur Entwickelung gelangt ist.
Jedenfalls würde sie zu den grössten Seltenheiten gehören.
In der Kunstgeschichte der Völker hat eine Architektur
dieses Charakters als ein Glied in der Entwickelung der Bau-
kunst bis jetzt noch keine Stelle gehabt. Selbst der Name
muss erst noch für sie gefunden werden. Man könnte sie viel-
leicht „megalithische Architektur" oder „megalithische
Baukunst" nennen. In der Bezeichnung Architektur oder
Baukunst würde enthalten sein, dass die Bauweise eine künst-
lerische ist, in „megalithisch" das andere Moment dieser Archi-
tektur, die Grösse der verwendeten Blöcke, ausgedrückt
sein. In „megalithisch" wäre die unbestreitbare allgemeine
1) Es finden sich in Aegypten wohl Steinfügungen, welche mit denen in
Tiahuanaco in Parallele gestellt werden können. Ein Beispiel hietet vielleicht
der unterirdische Tempel südöstlich von der grossen Sphinx, welcher aus ältester
Zeit datirt. Es besteht aus rechtwinkelig zusammenstossenden Mauern, welche
aus mächtig grossen, polirten Granitblöcken aufgeführt sind. Die Verbindung
dieser Wände ist nicht durch Versatz bewerkstelligt, sondern durch Winkelstücke,
welche zwischen den Wänden die Ecken bilden. In Folge dessen finden sich,
was auch für die baulichen Constructionen von Tiahuanaco aus Baustücken zu
entnehmen ist, in den Ecken der zusammenstossenden Wände keine Fugen.
Aehnlichkeit mit den sogenannten „megalithischen Denkmalen",
den ersten und primitivsten Versuchen menschlicher Bau-
thätigkeit (wie Stonehenge, Dohnen u. s. w.) enthalten,
während der Begriff „Architektur" und „Baukunst" den
fundamentalen, principiellen Gegensatz zwischen den künst-
lerischen Werken der Ruinenstätte und jenen rohen me-
galithischen Zusammenfügungen von Steinen zu erkennen
geben würde.
Die Art der Gliederung der Facaden (Simse, krönende
Streifen, Nischen in den Blöcken u. s. w.) und die Grössen-
verhältnisse der für sie verwendeten Blöcke stehen in der
Architektur der Ruinenstätte in einem Gegensatze zu einander.
Auch erscheint es nicht denkbar, dass ein derartig hoch-
entwickelter Häuserbau, auf dessen Ueblichkeit die westliche
Facade des Monolith-Thores von Ak-kapana (Taf. 6), ganz
abgesehen von ihrem sonstigen architektonisch-künstlerischen
Charakter, hindeutet, auf dem Wege der Entwickelung der
megalithischen Architektur zur Ausbildung gelangt sein könnte.
Die constructiven Einzelheiten in der Gliederung der
Facaden (besonders die Simse, krönenden Streifen) deuten auf
die Ausbildung der constructiven Formen innerhalb des Holz-
baues hin. Der ganze Facadenstil, der ganze an der Westseite
des Monolith-Thores von Ak-kapana so überraschend ent-
wickelte Hausbaustil ist also aus der Holzarchitektur in die
Steinarchitektur der Ruinenstätte übertragen worden. Die
formalen architektonischen Einzelheiten, welche in der Stein-
architektur der Ruinenstätte uns an einem Steine entgegen-
treten, ergaben sich in der Holzarchitektur durch die Zu-
sammenfügung einer ganzen Anzahl getrennter Bestandtheile,
und sind jedenfalls zum grösseren Theile nur auf solche Weise
entstanden. In der Steinbauweise der Ruinenstätte liegt also
die Uebertragung aus einer, viele Stücke verwendenden, und
dadurch z. Th. weit ausgebildeten Holzarchitektur in eine
wenige Stücke verwendende, und deshalb verschiedene formale
Einzelheiten auf einem Steine vereinigende, megalithische
Architektur vor.
Holz fehlt auf der bolivianischen Hochebene. Der Holz-
baustil, welcher an den Steinblöcken der Ruinenstätte durch
das fremdartige Material durchscheint, muss also in einer
anderen wärmeren Gegend zur Ausbildung gelangt sein. Dies
Resultat ist von hoher Wichtigkeit. Es beweist, dass die
ganze auf der Ruinenstätte von Tiahuanaco sich zeigende
Kultur nicht autochthonen Ursprunges ist, sondern sich über
den Schultern einer anderen in wärmerem Klima ausgebildeten
Kulturform ein Stück weiter erhoben hat. Mit dieser Er-
kenntniss dringt ein vereinzelter Strahl über das Dunkel,
welches die Ruinenstätte selbst umgiebt, hinaus in die noch
dunklere, noch schwerer, wenn überhaupt je aufzuhellende
Vorgeschichte der Kultur des Thaies von Tiahuanaco.
30