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Bei seiner weitern Thätigkeit bedient sich der Schöpfer
einiger Gehilfen oder Sendboten, welche auch Viracochas ge-
nannt werden.

Nach Betänzos sandte Con Ticsi Viracocha von Tia-
huanaco Boten aus, um den neu geschaffenen Völkern ihre
Wohnsitze anzuweisen, erst mehrere, dann noch zwei be-
sondere in der Richtung von Condesuyu und Andesuyu, die
erst in der Gegend von Guayaquil wieder zusammenstiessen.1)
Ganz ähnlich schickt bei Molina2) der Schöpfer zwei Vira-
cochas, Ymaymana und Tocapo, aus. Der eine sollte den
Weg des Gebirges und des Waldes, der andere den der
Ebene gehen. Ihre Aufgabe war, Bäume, Blüthen, Früchte,
Kräuter und Flüsse zu benennen, also unter den Naturwesen
Ordnung zu schaffen, ähnlich wie bei Betanzos die zwei
Viracochas unter den Völkern es thaten.3) Viracocha oder der

1) Betänzos, Cap. 1 und 2, oben p. 5.

2) Molina, p. 7, oben p. Ob.

3) Durch Vergloichung erscheint es unzweifelhaft, dass die Annahme von
zwei Neben-Viracochas ausser dem obersten Schöpfe!'-Viracocha ein weitverbreiteter

Schöpfer schlug bei Tiahuanaco seinen Sitz auf4) und daher
stammen nach Molina die bewunderungswürdigen Bau-
werke. 5)

Nach Cieza erscheint der Schöpfer (Ticsiviracocha) zur
Zeit des ersten Auftretens der Sonne von Süden her in
dieser Gegend,6) und ihm zu Ehren wurden die Gebäude der
jetzigen Ruinenstätte errichtet.7)

Glaube war. Die beiden Viracochas hiessen: Tocay oder Tocapo und Ymaymana
oder Pinahua (der Name wechselt). Tocay bei Garcilaso, Buch I Cap. 18, ent-
spricht dem Namen nach dem Tocapo Viracocha Molinas. Es ist leicht zu er-
kennen, dass von den vier Namen derer, an welche bei Garcilaso, 1. c, die Welt
vertheilt wurde (Manco Capac, Colla, Tocay und Pinahua), die beiden ersten unecht
und nur deshalb in die Reihe aufgenommen worden sind, um die wegen der vier
Himmelsgegenden (Tahuantinsuyu) beliebte Vierzahl vollständig zu machen. Die
beiden anderen Namen- sind die der zwei bekannten Viracochas. Pinaocapac und
Tocaycapac — also wieder die beiden Viracochas — sind bei Santacruz,
p. 244, zwei grosse Götzendiener, welche Manco Capae vernichtete.

4) Acosta, L c.

5) Molina, p. 5, oben p. Ga.

6) Cieza, Cronica, II Cap. 5.

7) Cieza, 1. c; Alcobaza bei Garcilaso, Buch III Cap. 1, oben p. 6a.

DTE CHARAKTERFIGUR IM MYTHENKREISE VON TIAHUANACO.

Viracocha, Ticsiviracocha, Con Ticsi Vira-
cocha, der „Schöpfer" und Pachayachachic1) sind
eine und dieselbe Figur.

Cieza sagt ausdrücklich, dass der Schöpfer Ticsiviracocha
ist2), Molina3), dass der „Schöpfer" und Pachayachachic und
Ticsiviracocha dieselbe Person bedeuten; der Name Viracochan-
pachayachicachan findet sich in demselben Sinne bei Joan
de Santacruz4). Ausserdem sind Namen wie Tonapa,
Tarapaca, („Adler", -vielleicht auch „Condor"), Bicchhaycamayoc
Cunacuycamayoc bei Santacruz, Tuapaca (wohl dasselbe
wie „Tarapaca") und Arnauan bei Cieza, den Angaben
nach als Namen derselben Person zu betrachten.

Die Anwesenheit und mannigfaltige schöpferische Thätig-
keit dieser einen Schöpferfigur in Tiahuanaco, als deren ge-
bräuchlichster Name bei den alten Chronisten sich Viracocha
oder Ticsiviracocha findet, wird also durch eine Summe ver-
miedener, die eine Person nur bisweilen anders benennender
Berichte bekundet.

Garcilaso sagt über den Namen Viracocha, er sei
Nomen proprium und an sich sinnlos5), er bedeute nichts6).
Doch lässt sich der Name in Ketschua-Bestandteile auf-
lösen. „Cocha" ist „See", „Vira" „Fett" oder „Schaum",
sonach würde „Viracocha" „Schaum-See" bedeuten, ein Aus-
druck, dessen Sinn nicht recht verständlich ist. Cieza7)
und Zärate8) übersetzten falsch „Seeschaum", wogegen
schon Garcilaso mit Recht9) Einspruch erhebt. Unglücklich

1) Viracocha: bei Acosta; Ticsiviracocha: bei Cieza, Molina und Anderen;
Con Ticsi Viracocha: bei Betanzos; the Creator: bei Molina (englische Aus-
gabe); Pachayachachic: bei Calancha und Anderen. Ticsi, „Ursprung", in Ticsi-
viracocha wird bald Tecsi (Molina), bald Tecce (Belac. anönima), bald Tici (Cieza),
bald Titi (Betanzos, Ms.) geschrieben. Mehrfach findet sich Iled Ticsi Viracocha als
Namen, so in der Relation anönima (Tres Relac. de Ant., p. 140) und bei Monte-
sinos (unten Anm. 14). ,,11'a" ist nach J. v. Tschudi, Culturhist. u. Sprachl. Bei-
träge p. GS: 1. = „glänzen", 2. = „abwesend sein", 3. — „alt", 4. = „Besoarstein".
Nach v. Tschudi, 1. c. p. 63 und 197, würde lila in jenem Namen die erste dieser
vier Bedeutungen haben. Er vergleicht dazu „Il'a thupa", „glänzender Herr".

2) Cronica, II Cap. 5.

3) Molina, p. 6, oben p. 6a.

4) Tres Relac, p. 236.

5) Buch V Cap. 21.

6) Buch II Cap. 2.

7) Cronica, 1. c.

S) Historia del Descubrim., Buch 1 Cap. 10.
9) Buch V Cap. 21.

deutet auch Hr. Middendorf10) den Namen, als „Gott des
flüssigen Lavameeres" („Con" = „Gott"; „Ticsi-Vira" -
„Boden - Fett" = „Lava"; „Cocha" = „Meer"). „Ticsi-vira"
kann hier nicht „Boden-Fett", und „Boden-Fett" nie „Lava"
bedeuten. „Ticsi" ist hier „Ursprung", „Anfang", nicht
Erdboden11). Weil J. v. Tschudi keine genügende Er-
klärung für den Namen Viracocha finden konnte, versuchte
er „Vira" als Ersatz von „Huaira", „Luft", aufzufassen, so
dass „Viracocha" so viel wie „Luftsee" bedeuten würde.12). Da-
durch aber wäre die Erklärung nicht sinnvoller geworden.

In seinem Wörterbuche der Ketschua - Sprache führt J.
v. Tschudi „huyra: das Ende aller Dinge; fin de todas las cosas"
an.13) Es inuss Wunder nehmen, das v. Tschudi das Wort,
das er selbst giebt, nicht mit zur Erklärung des Namens
Viracocha (oder „Huiracocha") angezogen hat. Unter der An-
nahme, dass „Vira" dieses „huyra" ist, erhielte man als Sinn
des Namens etwa: „See des Ursprunges und des Endes aller
Dinge". Ein majestätischerer Name hätte für den Gott wohl
kaum gewählt werden können. Diese Namendeutung würde,
wenn sie richtig wäre, dem Gotte seinem Wesen nach ein
ganz eigenthümliches Gepräge verleihen.14)

Die Ableitung aus dem Ketschua entscheidet noch nicht
die Frage, welchem Volke der Gott ursprünglich angehörte.
Die Bezeichnungen „Christus", „Heliand", „Heiland" u. s. w.
entstammen auch nicht der Sprache des Volkes, aus dem der
christliche Gott hervorgegangen ist.

Viracocha erscheint in den Mythen als der Wohlthäter
der Erde und der Menschen. Die Erde, welche vorher dunkel

10) üllanta, p. 24; Wörterbuch des Runa Simi, p. 464.

11) Das geht schon aus „Ticucapac" (d. i. „Tiesicapac"), „Schöpfer", bei
Santacruz, Tres Relac. p. 255, hervor.

12) Culturhistor. u. Sprach. Beiträge, p. 196.

13) J. v. Tschudi, Wörterbuch p. 340. In dem Wörterbuche des Runa Simi
von Hrn. Middendorf findet sich das Wort huyra nicht, woraus jedoch die Un-
richtigkeit des Vocabels nicht hervorgeht.

14) Montesinos Memorias Antig. del Peru, 1882 p. 67 erläutert den Namen
lila Ticsiviracocha in folgender Weise: „lila significa el resplandor, y tici funda-
mento, huira, antiguamente, antes de corromperse se Uamaba pirua, que es el de-
pösito de todas las cosas, y cocha abismo y profundidad." Da J. v. Tschudi in
den Culturhistor. Beiträgen, p. 196, Montesinos alle Autorität in Fragen der
Ketschua-Sprache entschieden abspricht, so scheint kaum angenommen werden
zu dürfen, dass er die oben gegebene Bedeutung von „huyra", „das Ende aller
Dinge", diesem Schriftsteller entlehnt hat.

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