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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 1/2 (Erstes und Zweites Aprilheft)
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Landquist, John: Die Rechtfertigung eines Irren
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Walden, Herwarth: Baumeister Solness
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0015

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sion d'interets commuuaux ou particuliers. Sche-
ring: Die Politik erschien uns also als ein Aus-
gleich zwischen 'kommunalen u n d privaten Inter-
essen.
Seite 79, Zeile 30 bis Seite 80, Zeile 2: Strind-
berg: Au comble de la desolation, je me disposai ä
lui ecrire pour lui demauder pardon, pour la sup-
piier d'oublier ce qui setait passe, expliquant par un
malen teudu la deplorable impression que j'avais
ressentie. Alais les mots ne venaicnt point, ma
plume restat iirerte. Schering: Als meine Trost-
losigkeit den höchsten Grad erreicht hatte, setzte
ich mich hin und schrieb an sie, um sie um
Verzeihung zu bitten. Ich bat sie, zu verges-
sen, was vorgefallen war, indem ich den beklagens-
werten Ei n d r u c k , den ich bemerkt habe,
durch ein Mißverständnis erklärte. Aber d i e
Worte kamen mir nicht, meine Feder
bl-leb träge.
Seite 120. Zeile 11 bis 13: Strindberg: le
gravis les roches grosses et glissantes
avec leur revetement de mousse trempe par les
plnies automnales. Schering: ich kletterte über
grosse (grasses!) Felsen, auf deren von den
herbstlichen Regen durchnäßten Moosbekleidung
ich ausglitt.
Seite 131, Zeile 12 bis 17: Strindberg:
Se pourrait-il, me dis-je, que ma preoccupation
constante de la baronne pendant ces deruiers jours
eüt laisse une empreinte sur m a physionomie? —
Etait-il admissible eu effet que lexprcssion de soll
visage se füt stereotypee sur le mien, durant cette
correspondance d'äme poursuivie depuis six mois?
Schering: Hatte meine unablässige Beschäftigung
mit der Baronin auf ihren (!) Gesichtsausdruck
eiuwirken können oder (!) hatte der Ausdruck
ihres Gesichts während dieser sechsmonatigen
Seelenverbindung meinen beeinflußt?
Zeile 17 bis 23: Strindberg: Le desir
instinctif de se plaire ä tout prix avait-il
produit une inconsciente selection des manies
(maste vara triyckfel för manieres), des
facon de regarder les plus seduisantes, au de-
pens des moins favorables qui s'etaient ainsi trou-
vees supprimees? C'etait bien possible, tant il y
avait que la fusion de nos deux esprits s'etait effec-
tuee et que nous ne nous possedions plus. Sche-
ring: Hatte der instinktive Wunsch, einander um
jeden Preis zu gefallen, eine unbewußte Auswahl
der verführerischesten Arten des Anschauens ge-
troffen, während die weniger günstigen unterdrückt
wurden? Es war sehr wohl möglich, daß
die Vermischung unserer beiden
S e el e n s t a 11 g e f u n d e n hatte und daß
wir uns nicht mehr besaßen.
Seite 181. Zeile 5 bis 9: Strindberg: Traduction
libre: un desir violent d'etre enceinte, le rut de la
femelle ayant ete des annees amoindri, deguise
sous la pudicite, mais eclatant, quand meine, un
jour ou l'autre, par 1'adultere, Schering: ln freier
Uebersetzung: ein heftiger Wunsch nach Schwan-
gerschaft, die Brunst des Weibchens, die sich
in den Jahren vermindert, unter Ehrbar-
keit verkleidet hat, aber trotzdem eines Tages
durch den Ehebruch ausbricht.
Seite 201, Zeile 19 bis 21: Strindberg: Coeur
sensible s'il enfut, il nous avait en affection.
Schering: Empfindsamen Herzens, wenn er es
war (?) hatte er uns gern.
Seite 202, Zeile 12 bis 14: Strindberg: Elle
arrive dans un fiacre, traine par une rosse que le
cocher mene ä bride abattue. Schering: Sie kommt
in einer Droschke, die von einer Mähre gezogen
wird, welche der Kutscher am Zügel
führt (?).
Seite 235, Zeile 1 bis 3: Strindberg: dit-elle,
avec cet air piteux qui de decele par instants

son inferiorite jamais ouvertement avouee. Sche-
ring: sagt sie mit einem kläglichen Gesicht, das
mir einen Augenblick ihre niemals eingestan-
denen Inferiorität verrät.
Seite 266, Zeile 6 bis 8: Strindberg: je pensais
faire tout juste ce quhm homme du monde aurait
fait ä ma place. Schering: ich hielt alles für
richtig, was ein Mann von V/ e 11 an
meiner Stelle getan hätte.
Seite 269, Zeile 13: Strindberg: — On ne voit
jamais le mari, repetait-on. Schering: — Man sieht
niemals den Mann, wiederholt sie.
Seite 287, Zeile 11 bis 12: Strindberg: son pro-
pre enfant — veritablement abandonne aux mains
dhme megere vicieuse de quarantecinq ans. Sche-
ring: das Kind wird tatsächlich den Händen einer
benachbarten (vicieuse!) Megäre von: fünf-
undvierzig Jahren überlassen.
Seite 298, Zeile 27 bis 28: Strindberg: Tan dis
que se deroule le ruban des unseres de mon ma-
nage. Schering: Während sich das Elend meiner
Ehe langsam (?) wie ein Band abrollt.
Seite 305, Zeile 15 bis 16: Strindberg: Et par ce
coeur d'ete, mes forces revenues, je chante. Sche-
ring: Den Sommer im Herzen, singe ich mit fri-
scher Kraft.
Seite 315, Zeile 19 bis 21: Strindberg: avec sa
perspicacite primesautiere, il avait penetre mes se-
crets sans doute. Schering: mit dem Scharf-
blick, der den ersten Eindruck be-
gleitet, hatte er mein Geheimnis ohne Zweifel
durchschaut.
Seite 318, Zeile 4 bis 5: Strindberg: D'une fai-
blesse extreme, je passe des heu res sur un ca-
nape. Schering: Aeußerst schwach, verbringe ich
die Stunden auf dem Sofa.
Seite 341, Zeile 30 und Seite 342, Zeile 7 bis 8:
Strindberg: Type de rousse, la rousse, Schering:
Russischer Typus und Russin: Dieser
Uebersetzungsfehler ist umso ungereimter, als
mehrmals in dem umstehenden Text (auch in
der Uebersetzung von Schering) die Freundin als
Dänin charakterisiert wird!
John Landquist

Baumeister Solness
Es erübrigt sich die Bedeutung von Henrik
Ibsen zu betonen und sein großes Kunstwerk Bau-
meister Solness zu besprechen. Das Besprechen
ist noch schlimmer als das Sprechen. Wenigstens
das Besprechen, das keine Wunder tut. Nur Kunst-
kritiker müssen besprochen werden, damit sie
schweigen lernen. Die Sprache ist den Herren so
geläufig, daß sie die Zunge erst im Zaum halten,
wenn die Peitsche droht. Ließe man sie auch ohne
Zaum und Zügel über die so überaus beliebten
grünen Wiesen laufen, kein Schrei würde aus
ihrem Munde dringen. Sie würden nur das Alaul
aufreißen, um Wörter hervorzustoßen, die nicht
menschlich sind und deren sich die Tiere nicht be-
dienen. Es mögen ja außerordentlich gute Men-
schen sein, diese Kunstkritiker auf den grünen
Wiesen, sie mögen es ganz ehrlich meinen, daß sie
bei Kunst kein tierisches Wohlbehagen empfinden,
nicht satt werden und nicht warm werden. Doch
sind sie sehr empfindsam. Sie frieren, wenn der
Künstler aus Norwegen stammt, wo es so kalt ist.
Sie schreien nach Brot, wenn sie eine Kunstkarte
bekommen und nach Kunst, wenn die Brotkarte für
ihren übermäßigen Magen nicht ausreicht. Auch
von den Kunstkarten werden die Abschnitte abge-
trennt und was dabei an Kunst übrig bleibt, war
nicht einmal für eine Woche gütig. Wenn die Be-
sprechenden besprochen werden und die Bespro-

chenen kann man vielleicht Ehrfurcht vor dem
Künstler heraufbeschwören.
Die Leute, die die „alte" Kunst gepachtet haben
befinden sich auf fremdem Boden. Kunst ist nie-
mals alt und niemals neu und ein Künstler, der un-
ter die Erde ging, und ein Künstler, der auf der
Erde geht, bleibt Kunstfremden, also vor allem
Kunstkritikern, gleich fremd. Wenn der Körper
einen Geist aufgibt, stürzt sich alles auf ihn, was
keinen Geist besitzt. Die Kunsthistoriker und die
Kunstjournalisten klauben nach Krümeln, die sie
verspeisen können und von denen sie sich nähren.
Gewiß, gammeln gehört zu diesem rlandwerk.
Aber ein Krümel macht nicht satt, wenn er nicht
verdaut werden kann. Und auch die Krümel sind
nur zu gebrauchen, wenn sie in einen besonderen
Mülleimer säuberlich zusammengepackt werden.
Und gut sortiert. Das gibt eine Speise nach Jeder-
manns Geschmack. Aber durch Geschmack ist noch
niemals Kunst entstanden.
Nicht nur ein reiner Magen, auch reine Hände
gehören zum Kunstbegreifen.
Hilde Wangel ist kein Backfisch, die Kunst
keine Angelegenheit für ältere männliche Back-
fische. Hilde Wangel ist der Glauben an das Künst-
lerische. Sie fordert Luftschlösser von ihrem Bau-
meister. Sie ist das unschöpferisch Schöpferische,
das dem schöpferisch Unschöpferischen helfen
will. Da kann man nicht helfen. Und als der Bau-
meister versagt, schon bei einem richtigen Bau
versagt, der lange nicht bis zur Höhe der Luft-
schlösser ragte, bleibt für Hilde Wangel nur i h r
Baumeister übrig, das Geschöpf einer Schaffenden,
die nicht schaffen kann. Etwas, das Gestalt war,
ohne gestaltet zu sein. Mein Baumeister.
Mein Baumeister, sagte Else Bassermann,
die Darstellerin der Hilde Waugel. Unter ihrem
Spiel, das nur ein Glücksspiel mit zahlreichen Nie-
ten ist, wurde der Gatte mein Bassermann. Ob-
wohl Albert Bassermann vielleicht der Baumei-
ster werden könnte.
Die Gesamtaufführung im Lessingtheater war
Nachahmung. Nachgebildet von einem Unschöpfe-
rischen, der sich vor das Schöpferische stellt, da-
mit man ihn sieht. Aber man sieht ihn trotzdem
nicht.
*
Die Berliner Presse freute sich, Ibsen wurde
ihr durch die Aufführung menschlich nahe ge-
bracht. Dieses Zeitungsdeutsch heißt übersetzt: Ein
Krümel wurde gefunden, man kennt ihn, aber man
weiß nicht, wo er herkommt. Oder: Eigentlich ist
der Baumeister Solness ein Mensch wie unsereins,
nur etwas zu nachdenklich, die Hilde Wangel wie
eine Tochter von unsereins, nur etwas idealistisch,
und seine Frau wie unsereins seine Frau „man
möchte sie sehr liebhaben und trösten" sagte die
„Presse". Natürlich hat unsereins die Frau Bau-
meister lieb. Oder, mit der Tiefe des Berliner
Tageblattes gesagt: „Vorher gelangt das kaum
erhoffte, das, wenn die Sache richtig angefaßt
wird, die menschlichen Bezüge aus der grübleri-
schen Ornamentik herauszuholen und ans Licht zu
stellen sind." Hoffentlich hat man auch die mensch-
lichen Bezüge ordentlich gewaschen che sie so ans
elektrische Licht gestellt wurden. Es ist zum Auf-
hängen. Wenn nur die Sache richtig angefaßt wird,
lassen sich selbst aus der grüblerischen Ornamen-
tik Stricke aufdrehen, die wie menschliche Bezüge
aussehen und die dem Lessing-Theater sei Dank
ohne Beziehungen zur Kunst sind.
Herwarth Waiden

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