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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 3/4 (Erstes und Zweites Maiheft)
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Kosztolányi, Dezső: Verpeléty
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Heynicke, Kurt: Gedichte
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Heynicke, Kurt: Das Sterben ins Dunkle
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0026

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genheit zu stehlen, daß sie davon nichts merken.
Da kommt ein Eisenbahner und verkündet mit
einer Glocke in der Hand, daß der gemischte Zug
nach den Szegediner Gehöften gleich abfahren
werde. Die beiden Lehrer schnellen von den Sitzen
auf, zahlen, raffen ihr Gepäck zusammen und wan-
ken verschlafen zur Türe hinaus.
Ich begebe mich auch auf das Gleis.
Rauche mir dort eine Zigarre an. Giftigbitter
ist der Glimmstengel, dunkel, zerfranzt, hat keine
Luft und glüht mit mattem Rot. Eine Weile kaue
ich an der Zigarre herum, dann werfe ich sie zur
Strafe auf die Kieselsteine und trete darauf.
Der Zug fährt ab.
Und die Lehrer werfen nicht einmal einen Blick
aus dem Abteilfenster auf mich zurück. Schauen
mich nicht einmal an, wiewohl ich mich vier lange
Stunden mit ihnen abgemüht habe, mit ihrem blu-
tenden Leben. Sie ahnen nicht einmal, wer ich bin.
„Undankbar seid ihr, meine Freunde, sehr undank-
bar !
„Reist nur fort, ihr, die ihr nicht willens gewe-
sen wart, zu sehen, daß euch gegenüber ein stum-
mer, guter Mensch sitzt. Helft euch selbst, wie ihrs
eben vermöget."
Wieder bin ich einsam an dem fremden Ort.
In der fremden Stadt, in der Verpelety schläft. Ver-
pelety, der große Herr, steht um diese Zeit auf,
gähnt lange, spaziert in dem gestreiften Nacht-
hemd ein wenig umher und denkt üb^r die Schul-
angelegenheiten nach.
„Guten Alorgen. Verpelety. Verzeih mir, daß ich
soviel Schlechtes von dir dachte und an dich an
diesem unausgeschlafenen, meinem letzten hero-
ischen Morgen, ermorden wollte. Eigentlich gehst
du mich nichts an. niemand geht mich etwas an
und es ist so — am allerbesten."
„Lebet wohl, ihr beiden Lehrer, du Magerer
und du Dicker. Ihr habt mich allein gelassen mit
meiner beißenden, quälenden, dummen Menschen-
liebe. Einsam und allein, mich armen, bemitleidens-
werten Narren. Ihr seid davongefahren, rauchet
jetzt in einem Abteil dritter Klasse geruhsam die
billigen Zigaretten weiter,, werdet euch daheim
Entenbraten und grüne Paprikaschoten kochen
lassen und an Krätzer einen Rausch antrinken."
Alles ist in Ordnung. In allerbester Ordnung.
Nur ich bin so traurig, daß ich mich am liebsten
rücklings auf die kiesige Erde schleudern möchte,
quer über die Schienen.
„Doch wißt ihr was? Im Grunde meines Her-
zens dauert ihr mich nicht einmal mehr. Ich pfeif
auf euch alle mit einander ..."
Einzigautorisierte Übertragung aus dem Magyarischen von
Stefan I. Klein

Gedichte
Kurt Heynicke
Ein Vortragsabend von Rudolf Blümner
Viel Aienschen gehn ins gieiche Bluten dieser Tage
mit zager Seele
Klänge suchend.
Herquellend aus dem Glanz des Wortes
zerpeitschen Strahlen Finsternis zu Sonnentänzen
und Schönheit greift im Flammenspiele
um die Herzen.
Die Seelen geben sich die Hände
und eine Brücke baut sich her und hin
aus Worten
die sich eine Lippe schafft,
zur Feier vielen,
die dürsten.

Verzückung
So steh ich.
Rings glänzt das Meer
chrystallnen Auges mir ins Antlitz
und über meinen Schultern
wölbt sich hoch
der blutdurchtränkte, wehende Abendhimmel,
tanzt ostwärts Hoffnung,
wehende gehende Sterne, auf.
Ich höre die Himmel singen
göttlichen Ohres
und die Jahrtausende sehe ich zerbrechen
am Felsen meiner Ewigketi.
Zu meinen Füßen reichen sich zwei Welten
ihre Lichthände
und ich stehe
starren, brennenden Leibes auf ewiger Insel.
Im Norden
wo nie eine Sonne steht,
hastet krummen Rückens ein Weib,
ruft und winkt.
Der Hauch ihres Mundes ist leer
und die Gesänge der Welt verschlingen ihn.
So steh' ich.
Schwarzdiamanten wird des Meeres Auge.
Auf meinem Haupte
blüht das Abendrot.
Zwei Liebesgedichte
Liebeslieder quellen mir vom Herzen
ich bin einsam,
wie ein Kuckucksvogel.
Weiß geht meine Seele unter euerm Lächeln
Die Arme hängen
und die Augen leuchten furchtsam:
Wo, Geliebte?
Liebeslieder sind wie hohe Wolken,
Die nicht wissen, wem sie wandern.


Ich bin einsam, ihr Frauen!
Seht mein Lächeln
ich bin still.
Wie ein Kind taste ich Blumen,
kröne sie meiner Liebsten ins Haar.
Dann kommt der Wind mit dunkier Gebärde
höhnt und verlacht meine Kränze.
Zerpflückt
liegen sie weinend im Staube
und die Kiefern stehen im Abendrot
starr
wie Galgen an blutiger Wand.

Das Sterben ins
Dunkle
Kurt Heynicke
Wo seine Füße auch hinfühlen, nie gehen sie
allein. Aus jedem Baume, aus jedem Grashalme,
über den der Wind geht, blickt ein fahies Wesen mit
dichten, schwarzen Strähnen wie Schlangenköpfe,
rotblusig und mager. Es schattet seinen Schritt
und zerpeitscht seine Besinnung. Es ist aus der
Stunde gewachsen, die Heilige zu Menschen
macht, aus dem Leibe eines Weibes geboren, den
der Priester küßte.
Er schreitet, er will das Unruhige zertreten,
aber sein Tritt verrinnt im Sande, feig und win-
selnd wie ein Hund.
Wenn Agnes nicht in seiner Nähe ist, fühlt
er sie. Ihr weißer Nacken flimmert in der Sonne,

hinklagend in die Stille, welche weich macht.
Und wenn er in der Kirche vor seinem Gott
kniet, kriecht das Lied durch die bunten Heiiigen-
fenster, schleicht zur Orgel und spielt mitten in
den Lobgesang ein jauchzendes Spotten.
Sie wächst mitten in der Predigt aus dem
Schiffe und den gläubigen, einfältigen Bauernge-
sichtern; schlank und weißen Gesichts, mit tief-
blauem Blick, den blonde Stirnlocken rahmen.
Dann streichen seine Hände bang über die
Kanzelverkleidung, und das Feuer seiner Stimme
erlischt in einem flehenden. Gebete.
Hernach wirft er sich schwer wie ein Stein
über die harten Dielen vor seinem Hausaltar, zer-
quält sich und bettelt den weißen Jesus am höl-
zernen Kreuz, daß er Bruder zu ihm sagen soll.
Aber das Kruzifix steht starr und leer in seiner
geschnitzten Pein.
Und dann ist Agnes wieder in seinem Hirn, wie
ein Quell hi vertrocknendem Berglande, und
streicht ihm das Ilaat über den Schläfen mit einer
feinen, weißen Hand aus einem Liliengarten. Da
schlummert er ein, und es geht hell und golden
durch seinen Traum.
Die Kissen liegen weiß wie junger Schnee. Und
der Priester beißt mit brennender Lippe in das
Linnen. Fr will „Gott, Gott" sagen. Aber seine
iriende Zunge bringt nur ein wunderbar weiches,
kinder inniges „Agnes" hervor.
Und er tastet über Kissen und Holz und glaubt,
übler einen weißen, hinneigenden Frauenleib^. zu
fühlen. Seine Augen wühlen im Dunkel und finden
kein Licht. Erst lange hernach steigt die Däm-
merung in seinen Blick, noch feucht von der Um-
armung der Nacht. Und im Weben der jungen
Lichtstrahlen beginnt das Heilandsbild sich zu re-
gen, das gebeugte Dornenhaupt blickt und strahlt
im Kranz hellblonder Haare und hat einen tief-
blauen Blick.
Da beugt der Mensch seinen Rücken und geht
mit wimmernder Seele aus dem Zimmer.
Die Glocken singen. Heiter und liebevoll
schwingen sie über dem Dorfe, mit klangvollen
Fittichen ihre Kinder zu rufen und zu segnen.
Fr ist heute im Amt mit einem göttlichen Eifer,,
er will sich auf den Herrn stützen weil er fühlt,
daß seine Besinnung zu fallen droht wie ein Haus
vor einer Lawine. Sein Tun ist allein schon Buße,
und jeder Fingerschlag spricht: Herr, erhöre mich.
Gemach leert sich die Kirche, und die Säulen
stehen weiß und schmucklos, leer wie Totensteine
im Winter. Durch die Fenster zwängt sich ein
Stück Sonne, legt sich auf den Altar und wird
Stimme und Gestalt. Ein jubelndes Lied über
einem schlohweißen Nacken, welchen das Haar
krönt in goldenen Prächten.
Da wirft der Priester das heilige Buch hinter
sich und geht zu Agnes, dem Weibe.
Es zieht eine Zeit über das Land, anfjanchzend
in der Lust des Frühlings. Es lenzt weiß von den
Bäumen, stellt zwischen grünem Gesträuche und'
läutet vom Alorgen bis Abend in Käfersang und
Vogellied. Und wenn die Sterne steigen, uachti-
gallt es in der Runde.
Sie gehen Hand in Hand, Leid in Leid, Freude
in Freude.
Flügelhinten ist das Dorf versunken, und auf
dem braunen Wege schläft die Einsamkeit, und
die Ruhe hüllt sich in die vielen schlanken Kiefer-
stämme mit den dunkelgrünen Kronen.
Weun sie einander anschen, fühlen sie. daß
keiner dem andern eine Lüge sagen kann. Denn
es flackert in der Tiefe, und der Funke ist zu groß,
als daß er sterben könnte. Und die Augen, die
Fenster der Seele, bluten: Lebet!

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