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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 23/24 (Erstes und Zweites Märzheft)
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Leer, Francisca van: Der Tod
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Runge, Wilhelm: Lieder
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Bloch, Albert: Aufzeichnungen: aus einem Notizbuch
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Turcsányi, Elek: Der Kampf der Gefühle auf dem Hinterhof
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0142

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Weit atmet Licht. Die Nacht zerflutet uierios.
Bunte Uhren schlagen. Aut knarrt die Zelltür.
Irden knirscht der Krug über den Boden. Fiisse
und Tiere streichen das Gitter vorbei. Ein Kind
bückt sein Gesicht und drückt spitze Lippen an
die Drähte.
Jede Nacht des Lebens liegt eine Frau in
meinen Armen. Um meine Lenden schlängeln ihre
Glieder. Ihre Hände tragen meinen Nacken. Ihr
Odem flammt gegen meine Stirn.
Wir vollen sterben. Beide. Morgen wollen
wir sterben. Wir haben Alles zu verlieren.
Ich suche die Fesseln, die ich tragen will hinter
ihr her, daß die Erde rasselt und der Himmel von
Kettenstriemen stöhnt. Ich lösche das Sonnlicht.
Ich will Sterben schlafen . . . mit ihr.


Lieder
Wilhelm Runge
Welt mm bis du Wald in Aeugsten
der den Nacken furchtsam beugt
bei dem wilden Griff des Sturmes
herzhinauf
Tritt mein Fuß den ITaum der Afoose
der aus seinem Schlummer fährt
und zerbricht die schreckgereckten
tausend Aeste wilder Furcht
Brüllend durch das AAeer der Zittergräser
rast der Seele Wipfehmgestiim
und verebbt am Fuß der Farne
wo mit Souuenabend die Lichtung whikt.
Zagend fährt das wilde Tier des Waldes
aus der Irre Nachtverhau
stößt am Zaune müder Abendglocken
an dem Bug von grünen Geigen
das Geweih der Schmerzen ab.
* *
*
In die Ferne läuten die Gedanken
wiesengesenkt
Kuhglockendumpf
und aller Worte flüsternd Schilf
weht wasserhin
goldhäuptig
in der Wälder Dom
kniet Sonne nieder
hinbluten
wilde Rosen ihrer Glut
und meiner Augen stille Hirten
sammeln der Wolken samtne Herden ein
aus weiter Himmel kornblumblauem Feld
in ihrer Hütten Alutterhut
Vom Hauch der Wiesen steigt des Glückes Lerche
zerreißt die zarte Brust
daß in die Achren
leis abendsonnenblutet ihr Gesang.
* *
*
Wild peitscht Sturm der Seele Meeresstille
und des Herzens Purpurwelle bäumt
strandhin flucht ich aus von ihrem Schlage
durch der Adern Wüstensand
meiner Augen müde Möwen
schweifen
und die Muschel meiner Stimme
heult
mir ins Ohr
himmelfern der Stern des Glückes glimmt
blutbeschattet
und der Atem durch den Dünensamnit

lauscht
wie der Sonne Meeresperle
aufschreit
wild die dunkelgoldnen Strahlen springen
iü den wellenleichteu
Zwitschertanz.
* *
Seufzer bangt
Des Auges votier Garten
steht in Regen
durch der Stirne Wüstensand
schleppt sich die Gedankenkarawane
sonnetaumelnd
dnrstentlang
alles Blut verdunkelt wolkenschwül
und der Hände scheue Tauben
ängsten
da springt auf der Seele wildes Tier
donnerheult
die Hölle seiner Schrecken
und zerstampft den Frieden in die Wildnis
die das Eiland seiner Stärke ist.
* *
Aleiucr Stimme Quelle stürzt
felsherab
verrieselt
stirbt
im Gestein verloren
Schmerzen wuchten stämmig hoch
wälderdumpf
drängen schwüle Wolkenschwere
in der Seele Sounentanz
und es hängt des Auges bunte Wimpel
zage wehend
vor dem Sturm.
Aus der Wiege deines Tanzes
rauscht es Wald
deiner Füße leichte Brandung
küßt das Ufer
meines Glücks
und ich stürz der Sonne nach
deines Lächelns
Sieg schreit auf die Meute deines Auges
tief herzab flieh ich
das Tal des Bluts
und verschlag die Zweige aus den Adern
die den Weg mir engen
steh aufatmend
In die Stirne drückt
deines Blutes dunkler Rosenkranz.
* *
*
Meine Augen wollen wandern
alle Wege
deines Leibes
doch schon auf dem Rücken deiner Hand
brechen sie zusammen
überall bist du ganz steil
unzugänglich
schüttelst Spott
übers Zagen meines Fußes
durch die wäldersammtne Haut
Deines Blutes grollendes Gewitter
schleppt der Schwüle Zunge
lechzend
alle Vögel zwitschern schluchzend
ins Gefieder
Biene bin ich
all dein Blühen schweigt
und der Stirne offne Hand
ist verschlossen.

Aufzeichnungen
Aus einem Notizbuch
Revolutionen sind mir schon recht; nur darf
man sich mit den jeweiligen Revolutionären nicht
einlassen. Ich bin, unter Umständen, bereit eine
Revolution mitzumachen, aber nur wenn man mir
das Recht einräumt, mich rechtzeitig — das Messe
eigentlich, von vornherein — von den Revolutio-
nären abzuwenden.
Dieses Bild versteht ihr also nicht? Ja,
warum wollt ihr es denn verstehen? Ihr habt
es garnicht zu verstehen. Ich verstehe es selbst
nicht. — Wie, und habe es doch gemalt! — Das
tut ja nichts: bin ich das Bifd einmal los-
geworden, so habe ich es nicht mehr, und verstehe
es einfach nicht. Ich ahne es aber, ich empfinde,
fühle, erfühle es: — so allein erfasse ich es
auch. Und nur wer es so erfaßt, nur der wird es
verstehen. Denn mit dem Verstand will das Bild
nicht erfaßt werden, — das leidet es nie — und
n i e erfaßt, wer es zu verstehen trachtet.
Belegen kann ich es zwar nicht, da ich keine
Mythologie zur Hand habe, und auf mein Gedächt-
nis will ich mich erst garnicht verlassen; aber
irgendwo muß sich die Pallas Athene einmal mit
dem Maklergott Hermes doch eingelassen haben.
Man wirft ihr sogar vor, sie habe ihm Zwillinge
geboren: den Kritiker und den Bilderhändler. Das
ist aber grobe Uebertreibung. Höchstens Filzläuse
mag sie von ihm erwischt haben.

Das Handwerk pfuscht mir in den Geist.
Wie Wenige sind es, die sich beim Malen
andrer Dinge bedienen, als der Hände und Augen,
dieser beiden Haupthindernisse des Künstlers!
Fland, Auge, Farbe, Pinsel — sie Alle sind Feinde
der Vision. Die Dickichte, die Verhaue, die der
Geist, ehe ihm seine Vision Wirklichkeit wird, erst
durchbrechen muß. — Um sie daun vielleicht nicht
wieder zu erkennen! Macht nichts; sie ist es aber
doch. <— Wer nur seine Vision unmittelbar auf die
Leinwand projicieren könnte! Dann aber
wäre sie wohl die rechte nicht — oder? —
Hände, Augen, Pinsel, Farbe: notwendige, aber
hemmende, lästige Vermittler zwischen Geist und
Ausdruck; Agenten, lumpige Zwischenhändler —
nichts mehr. — Wie Wenige sind es, die außer
Hand und Auge, Farbe und Pinsel zum Malen
sonst noch was gebrauchen, die ihre Diener nicht
über sich zu Herren erhoben haben, die nicht
Sklaven geworden sind ihrer eignen Knechte, die
es nicht waren von Anfang an!
Albert-Btoch

Der Kampf der Gefühle
auf dem Hinterhol
E!ek Turcsänyi
Als die Uhr der nahen Kirche fünf geschlagen
hatte, war er schon längst mit der Durchsicht der
Blätter fertig, und faulenzte auf dem Bett.
Gedankenlos und unbewegt starrte er in eine
der oberen Zinmierecken, bis ihn] die ermatteten
Lider müde xufielen.

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