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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 13/14 (Erstes und Zweites Oktoberheft)
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Stramm, August: Geschehen
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Döblin, Alfred: Das Gespenst vom Ritthof
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0081

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Mädchen (puffen zurück höhnen): Ihr! Ihr! 1
Knabe (packt das Mädchen und balgt): Du
Mädchen (packt den Knaben und balgt): Du
Knabe (balgt): ich!
Mädchen (balgt): ich!
Knaben (balgen): wir!
Mädchen (balgen): wir!
Gekreisch und Gebalge (ins Dorf)
Sie (tief gebeugt): Du Ich Dich Mich (schaut auf
die Augen tief in Fernen Rätsel) Wir!
Ende

Das Gespenst vom
Ritthof
Alfred DöbHn
Wie des Karl Volkers Sohn Johann vom Ritt-
hof herunterging, wo er den heißen Nachmittags-
kaffee getrunken hatte, rieselte am Wege nach
Fechingen etwas Wolkigblaues, Niedriges von
Alenschengcstalt an ihm vorbei. Er verfolgte den
Schatten, träumend: „Dich kenn ich, oh, wir haben
uns schon gesehen." Die Haare der Gestalt wur-
den von dem Märzenwind lang und wagerecht
ausgezogen, sanft lief sie und bewegte kaum die
Füße und die Arme, als wäre sie mit Bändern um-
wickelt. Sie mußte von der Gegend der Fähre her-
kommen; über das dünne Grün der Wiese lief sie
gleichmäßig wie aufrechter Rauch. Sie floß über
den Bühlbach; er suchte lange, bis er eine schmale
Stelle fand. In weiten Sätzen machte er sich hin-
ter ihr her. An der Holzbrücke vor dem Dorf
drehte sie sich, rechts, links. Da hatte er sie aus
den Augen verloren.
Dicht am Eingang zu Bliesschweien, dem Dorf,
wehte das Fähnchen vom Wirtshaus. Da trank
Johann Völker in der niedrigen langen Stube ein
Glas gelben Saarwein. Und als er eine viertel
Stunde am Kieferntisch gekauzt hatte, kam ein
scheues, bäurisch gekleidetes Mädchen ohne Hut
zur Tür herein, das einen Eimer und ein Tablett
mit leeren Weinkaraffen trug. Sie bewegte sich,
als sie den Eimer neben dem Schenktisch abge-
setzt hatte, blaß und erschrocken zwischen den
dicht belagerten Tischen herum, warf die Augen
auf Johann. Er fragte sie, indem er das leere Glas
von sich schob, ob sie mit ihm trinken wolle und
warum sie so erschrocken sei. Ach, lächelte sie,
das sei nur, weil er eine blaue Mütze trüge, die
stünde ihm so gut, darüber habe sie sich gefreut.
Aber warum sie denn jetzt Wein trinken solle, da
sie doch gar keinen Durst hätte. „Wir wollen zu-
sammen essen", schlug Johann mit der Faust auf
die Holzplatte, da er das Mädchen immer schöner
fand. Aber sie zwinkerte mit den Augen, kniff ein
verschmitztes Grübchen in die Wange, kicherte
ganz hoch in der Kehle mit geschlossenen Lippen,
ließ ihre Karaffen füllen.
Johann blieb die Nacht über in dem fremden
Wirtshaus. Tags darauf und öfter begegnete er
dem Mädchen mit dem Eimer; sie war die Toch-
ter des Schmiedes Liewennen und hieß Kätti. Er
wanderte mit seiner blauen Mütze, in dem jungen
ebenmäßigen Gesicht die randlose Brille, an den
dünnen langen Beinen Radfahrhosen und braune
Segeltuchschuhe, wanderte zwischen der Schmiede
und der Schenke des Nikolaus Schlöser her und
hin. Sie freuten sich miteinander den ganzen Som-
mer. Sein Vater wußte nicht, wo er hauste, glaubte,
Johann hätte eine Reise wieder über den Ozean
auf einem Frachtdampfer oder auf einem Segel-
schiff angetreten.
Im August quartierten sich vier lustige Herren
aus Trier beim Nikolaus Schlöser ein. Mit denen
ritt Johann auf die Hühnerjagd; sie knallten den

halben Tag über, abends warfen sie sich in der
Laube neben der Bliesbrücke auf den Rasen, stie-
ßen den Gartentisch um, pflanzten eine brennende
Kerze in die Erde und spielten Karten, bis die Hüh-
ner krähten. Kätti hörte nichts von Johann. Feine
Mädchen brachten die Trierer Herren manchmal
in die Laube und zum Schlöser. Johanns Gesicht
wurde vom Trinken und Lumpen dick. Statt der
leichten Füße in Segeltuchschuhen scharrten die
Latschen eines kleinen Jungen zur Schmiede her-
über; er brachte Grüße und ein Bündel Rosen von
Herrn Johann Völker.
Aber sie war schlauer als er hinter seiner glä-
sernen Brille. Sie ging in die Honoratiorenstube,
wenn die fremden Weiber mitpokulierten, sangen
und kreischten, ließ sich verschämt bei der Hand
fassen, ihre hochausgeschnitteuen Augen wander-
ten; den Fingern, die nach ihren Zöpfen tasteten,
wich sie aus; sie warf sich dem schmunzelnden
Johann, zwischen Tischkante und Stuhl sich ein-
zwängend, brustangeschmiegt auf den Schoß. Und
als sie ihn mit der Eitelkeit gefangen hatte, kicherte
sie eines lärmenden Abends, während er im Kor-
ridor ihren Kopf nehmen wollte: „Guten Tag, Jo-
hann, lebwohl", hing sich an den Arm des spitz-
bärtigen Jägers aus Trier der eben in grünen
Wickelgamaschen, geschniegelt, gescheitelt, keck
aus seiner Stube spazierte und im Vorüberzichen,
elegant fußscharrend, Johann mit einem Finger auf
die zuckende Schulter tippte. Das war an einem
Sonntag. Karl Volkers Sohn vergaß den Tag nicht.
Und im Moment, wo sie vorüber waren, fühlte er
einen Zwang, aus dem Flufeuster nach der Brücke
hinzusehen, und wie er sich abwandte und nach
unten vor die Haustür blickte, da hatte sich die
Liewennen, — im sauber gewaschenen weißen
Kleidchen hüpfte sie hinter einer kleiderrauschen-
den Dame in das Kabriolet, — da hatte sich die
Liewennen verändert. Ueber ihrem gebügelten
Rock lag es; der Rock dampfte; streifig, der Länge
nach war er tausendfach gefältet; von dem rosen-
blumigen Hut, den sie sich eben weit in den Nacken
stülpte, goß sich ein Staub, ein feiner Ruß, der um
ihre Schultern schwälte.
Johann verließ seine Stube nicht; eine höllische
Wut und Raserei nahm ihn gefangen. Er berührte
keine Flinte; die Karten, die man mit rotem Wein
begossen zu ihm hinaufschickte, streute er aui den
Flur vor die Stube der vier. Dann machte er sich
verbissen hinter die Schmiedstochter. Er sah, er
übersah dieses Flüssige, Dünne, Zittrige, das sie
umgab, das aus ihren Kleidern, von ihrem freude-
vollen Gesicht wie der Dunst aus warmem Was-
ser aufstieg. Es beunruhigte ihn nicht. Er brütete,
war der Spürhund hinter ihr, haßte sie. Aber so
oft er sich auch in seiner Stube einschloß und den
Federhalter zur Hand nahm, er konnte sich nicht
entschließen, dem alten Karl Völker im Hessischen
zu schreiben, daß man mit der Schiffahrt mal ein
Ende machen müsse; im Mittelmeer sei es jetzt
sehr heiß, sein Kapitän' wolle nach Rumänien, um
Petroleum zu laden, und das könne er nicht mehr
riechen. Er kaufte sich einen grünen Jägerhut, ließ
sich die Haare bis auf den Wirbel scheren, frech
wuchs auf seiner Lippe ein blondes Schnurrbärt-
chen. So ritt er und schlampte wieder mit den
Trierern, den wilden Vögeln. Seine schlanken Ren-
nerbeine zitterten und wackelten wie einem Greis,
wenn sie Arm in Arm auf den finsteren Kuckucks-
berg seitlich von Ransbach schlenderten und
Speere warfen nach einer angebundenen schnee-
weißen Geiß, die ängstlich mäckerte, Blut spritzte,
unter Gebrüll zertreten wurde. „Aas!" keifte Han-
nes Völker heiser, zog sich die rotbefleckten
Schuhe aus und hackte tobend dem verreckenden
Vieh rechts und links in das Maul, auf die Zähne;
Gras und Erde stopfte er in den Schlund hinzu,
während die anderen vier ihre Eisenstäbe gegen

die entzündeten übernächtigen Larven drückten
und vor Lachen den Buckel krümmten.
Des Schmiedes Liewennen Kätti mied das
Wirtshaus; der Curator habe wegen ihrer Eitelkeit
mit ihr gesprochen. Aber das stillte seine Wut
nicht. Im bäurisch weiten Rock, mit berußter arm-
loser Taille trug sie ihrem Vater vom Brunnen die
Wassereirner Tag um Tag; schon wurden die Blät-
ter an den Bäumen bunt; warm und traurig hielt
sie das Gesicht gesenkt, wenn der lange Hesse ihr
über den Weg stolperte. Wenn sie lief und die
Eimer schwappten über, sah er ihi nach, und da
liefen doch zwei. Warnend lief es, gedoppelt,
machte ihn eine Alinute stumm. Zweimal waren es
zwei bloße Arme, zweimal schoben sich zwei Füße
eng nebeneinander vor; ihr Kopf hatte hinten dicke
festgesteckte und bebänderte Flechten, der andere
war glatt, er schwankte bald rückwärts bald seit-
wärts von ihrem, und wenn sie ihren auf die Brust
legte, so stand der andere dünn in der Luft da,
gegen dunkle Baumstämme hob er sich hell ab; so
glattgestrichen war er von allen Seiten. Sie blieb
eines Mittags, ohne die Eimer abzusetzen, vor dem
Denkmal des heiligen Quirin auf dem Dorfplatz
stehen neben ihm und flüsterte rasch, das schräge
Hütchen kleide ihn nicht gut, er solle sich die Haare
wachsen lassen und die blaue Mütze aufsetzen. Jo-
hann schnalzte verächtlich mit der Zunge, daß es
über den Platz knallte, schleuderte mit einem stol-
zen „Juhu" das Hütchen an der Krämpe in die Luft
und fing es auf, während er ein Bein hochzog und
wie ein Storch auf einer Spitze stand. Die Eimer
schlugen ihr gegen die Hacken, das Wasser spritzte
gegen ihren Rock, rasch lief sie davon.
Und eines Sonntags fuhr ein Wandertheater
auf den Marktplatz vor das Gemeindehaus mit drei
grünen Wagen, schlug seine Bretterbude seitlich
vom heiligen Quirin auf. Da brachte der ge-
schminkte Ausläufer des Direktors dem Hessen ein
Billet, das habe, so erwähnte er mit graziösem Hin-
und Herwinden und süßem Gurgeln vor dem Her-
ausgehen, eine bekannte unbekannte Person be-
zahlt, beglichen, honoriert. Das Schicksal der Kai-
serin Dorothes von Byzanz würde nach dem Got-
tesdienst die Bewohner von Bliesschweien er-
schüttern, auch viele Nachbarorte seien voll Teil-
nahme, kein Auge würde tränenleer bleiben.
Der Hesse nahm ein rotes Taschentuch und
legte es auf seinen Platz, die erste Bank vor der
Bühne, stellte sich an sein Fenster, um das rote
Taschentuch und den Nachbarplatz zu beobachten.
Nun sollte die Liewennen, die Liewennen betraft
werden für ihren Verrat. Das Theater begann. An
dem Haustor des Bäckers, im Schatten, spielte
Kätti mit den Kindern, in ihrem weißen bauschigen
Kleid; sie warf von Minute zu Alinute einen Blick
gegen das Seil am Denkmal, wo die Billetabneh-
merin auf einem Stuhl schlief. Dreiviertel des
Stücks waren zu Ende, längst ging keiner durch die
Billetsperre, schon wanderten ältere Leute zurück,
um noch vor Nacht ihre Dörfer zu erreichen oder
sich einen Platz in der Schänke zu sichern. Die
Liewennen kletterte auf den kleinen Tritt, lugte
vorgebeugt, an der mörtelstreuenden Wand sich
haltend, über das leinwandumspannte Carre; ganz
leer die erste Bank, aber auf einem Platz sorgfältig
hingebreitet ein rotes Taschentuch.
Sie fühlte einen Stich im Herz, vorsichtig, blaß
stieg sie den Tritt herunter, dann rasch zum Sei!
über den leeren heißen Plaß, sie scheuchte die
Kinder zurück, die weinten und mit hineinwollten;
gleich wäre sie wieder da. Das Gedränge im Gang;
„ach, bitt Euch, mein Platz ist vorne, laßt mich
durch" Nun saß sie vorn, drückte zitternd das
Tuch gegen ihre weiße Bluse, wagte nicht, von
allen Seiten beobachtet, unter dem Rollen der Büh-
nenrhetorik, den roten Stoff zu entfalten, das Zet-
telchen zu lesen, das wohl dring lag. Schon waren

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