Meine Liebe rankt
um Dich
empor
Ein kreisendes Erdenrund
Du
11
Aus Mondlicht
ein Dom
ist Deine Liebe
Die Welt
tönt
Deine Sehnsucht
Dein Schweigen kniet
Deine Stimme
bebt
Verlangen
Durch meine Sinne
schreitet
Dein Gang
Dein Lächeln
gebärt
Mich
Appendicitis
Desider Kosztolänyi
Der Name meines Helden ist: Josei Schmied.
Jch beeile mich, dies kundzutun, bevor ich mit der
Erzählung seiner Geschichte beginne. Im Adreß-
buch finden wir mindestens zweihundert Menschen
ähnlichen Namens, und wenn wir bedenken, daß
all diese Leute gar nichts mit dem Hammer, dem
Ambos oder sonstigen Werkzeugen des ehrsamen
Schmiedehandwerks gemein haben, wird es un-
faßbar, warum sie sich so krampfhaft an einen
Namen klammern, dessen häufiges Vorkommen
monoton traurig wirkt. Auch die trübsame Ge-
schichte meines Helden hängt — so meine ich —
mit seinem Namen zusammen.
Schmied war ein fleißiger Beamter, trug beim
Arbeiten schwarzleinene Schutzärmel über dem
Rock, auf der Nase einen Kneifer und schrieb in
vornübergebeugter Haltung an seinem Schreib-
tisch. Am Morgen tauchte er schon um dreiviertel
auf acht im Stiegenhaus auf, rieb sich die Hände,
ließ sich einen Kaffee bringen, hüstelte bescheiden,
breitete die raschelnden Papiere auseinander und
dachte daran, daß man ihn zum neuen Jahr ganz
bestimmt befördern werde. Im allgemeinen ist er
von allen gut gelitten, besitzt vier Kinder, die jeden
Vormittag die Türe seines Amtes knarren lassen,
und eine Frau, die noch niemand zu Gesicht be-
kommen hat. Wenn man das bauchige Wasser-
glas vor ihn hinstellt, aus dem Schmied den Kaffee
zu trinken pflegt, muß er glotzend die Augen
mühen, um nicht den Kuchen in das Tintenfaß zu
tunken. Er grüßt jedermann zuerst, und seitdem
es ihm eines Tages passierte, daß er seinen Kanz-
leivorstand übersah, lüftet er auch vor dem Diener
den Hut. Ein schöner Mensch ist er nicht, er hat
eine breite und stumpfe Nase und hellergroße
Sommersprossen im Gesicht. Seine Schnurrbart-
haare gleichen den trockenen und fahlen Fäden
des Pursitschantaboks.
An einem verschneiten Morgen sitzt er in der
Kanzlei. Vor ihm steht — ohne Schaum — der
Kaffee und liegt eine Schnitte gelben, rosinen-
besäten Kuchens. Er tunkt den Löffel ein, schreit
auf, sinkt ohnmächtig in den Sessel zurück, und
dicke Schweißperlen rollen ihm über die Stirne.
Im nächsten Augenblick ist die Stube voll Leute.
Man setzt ihn in einen Wagen, fährt ihn heim
und ins Spital.
Am Nachmittag geht in der Kanzlei von Mund
zu Mund die Sensationsnachricht:
„Er hat Blinddarmentzündung . . . Blinddarm-
entzündung . . . wird operiert . . . wird ope-
riert . . ."
Der Kanzleivorstand steht vor dem Wasch-
tisch, reibt sich mit Bimsstein den Tintenklecks
vom Mittelfinger der rechten Hand und schüttelt
väterlich bedauernd den Kopf:
„Der arme Kerl, der arme . .
Am Nachmittag fand sich Schmied auf einer
Liegestätte im Spital gebettet. Er hatte be-
reits die traurig-steife Haltung der kranken Leute
angenommen, hielt die knochigen Finger gefaltet
und beobachtete die Uhrenzeiger, die die dritte
Stunde wiesen. Es fiel ihm ein, daß er sich sonst
um diese Zeit im Amt befinde, und er fand das
Leben hier endlos leer. Wie kummererfülit die
Stunden dahinschleichen. Ungewohnt ist ihm ein
solcher Nachmittag, ungewohnt diese Stube, un-
gewohnt -die großen Veränderungen. Auf dem
Bauche liegt ihm ein Eisbeutel. Auf dem Nacht-
kästchen steht die elektrische Klingel und das Ther-
mometer. Schmied schaute auf die Klinge! und
das Thermometer und brach in Weinen aus.
Tränen flössen über die Sommersprossen.
Um fünf Uhr leuchtete die elektrische Beleuch-
tung auf. Bis sechs geschah nichts. Um diese
Zeit kam der Arzt, Schmied wurde gebadet, zur
Operation bereit gemacht, in den gepolsterten
Fahrstuhl getragen und von ihm in den Operations-
saal befördert.
Hier übermannte ihn unsägliche Erbitterung,
die er vergebens in Worte fassen wollte, er stam-
melte bloß, schluckte die salzigen Tränen hinab
und dachte an das Leben, das jäh zugreifende, un-
erbittliche, grausame.
Im Saal war es blendend hell. Der Arzt sprach
auf Schmied ein, doch dieser verstand kein Wort.
In der nächsten Minute hatte er die Chloroform-
maske über dem Gesicht Was flüstern die Leute
ringsum? 0 jäh zugreifend, unerbittlich, grausam
ist das Leben. Sein Weib . . . die vier Kinder . .
das Amt . . . die Akten ... die Rechnungen . . .
die glücklichen ) freien Sonntagnaohmittage . . .
zum Schlüsse, mit klopfendem Herzen geahnt, mit
jedem Glied davor zurückbebend, der Tod, der
Tod . . . der Tod ... Er ringt um Bewußtsein
und weiß, er wird in der nächsten Minute schlafen.
Die Luft ist fieberrot. Alle Gegenstände halluzi-
nieren. In der Ferne leuchtet durch die fahle Röte
eindringlich ein glühender Punkt, wie das Ende
einer brennenden Zigarette. Die Punkte ver-
mehren sich; nun sieht er zwei, drei, vier, viele.,
dann keinen mehr.
Am kommenden Morgen.
„Geht es dir besser?" fragt eine leise Stimme,
und jemand beugt sich behutsam über ihn.
Es ist seine Frau. Sie sieht wie eine magere
Henne aus, mit aufgewühlten Federn, neugierig
beweglichen Augen, blaß von Aufregung und
Wachen.
„Wie geht es dir?" fragt sie wieder, noch leiser.
Schmied hört die Frge, gibt aber keine Ant-
wort. Er öffnet die Agen und wimmert, schlürft
ein Löffelchen kalten, bitteren Tees, schluckt Eis
und sinkt -dann wieder in Apathie zurück.
Die Operation ist ausgezeichnet gelungen, zur
vollsten Zufriedenheit der Herren Aerzte, die in
dieser Erkrankung einen ganz gewöhnlichen Nor-
malfail sehen, ohne sonderliches Interesse, für sie
bei weitem weniger wichtig als für den Patienten,
ln einigen Tagen wurde ihm mitgeteilt, es nehme
alles den besten Verlauf, er könne in einer Woche
bereits gesund das Spital verlassen und sich wei-
tere vierzehn Tage nachher ins Amt begeben.
Schmied vernahm dies trauernd.
Er wurde um so mißgestimmter, je besser er
sich befand. Mit saurem Gesicht empfing er die
Besucher, preßte den Kopf in die Polster, ließ das
Kinn sinken, schloß vorsichtig die Augenlider, da-
mit nur durch einen kleinen Spalt in geheimnis-
voller Unklarheit seine fiebrigen Augenäpfel sicht-
bar blieben.
„Es geht dir doch schon ganz gut", behaupte-
ten die Freunde.
„Pumperlgesund ist er wieder!" sprach der
Kanzleivorstand, und sein feister Bauch hüpfte vor
Lachen.
Verächtlich ließ Schmied seine Blicke über die
Leute gleiten. Bitterer Zorn würgte seine Kehle;
er wollte fluchen, fand aber dann die Menschen
nicht einmal dessen wert und würgte die bösen
Worte hinab.
Hinkend und schleppenden Schrittes kam er
ins Amt, einen dicken Schal um den Hals gewun-
den. Mit allen Einzelheiten erzählte er sehr aus-
führlich jedem seinen Fall. Denn die Sache lag
nicht so einfach, wie Laien glauben mögen Im
Gegenteil, es war dies eine ganz eigenartige und
überaus gefährliche Geschichte, und man mußte
es, das sagten auch die Aerzte, geradezu als
Wunder bezeichnen, daß er mit dem Leben davon-
gekommen sei. Der Operationsschnitt, nun ja, der
reicht von hier bis hier . . . aber selbstverständ-
lich, narkotisiert wurde er auch. Drei Aerzte
narkotisierten ihn, und geschlafen hatte er wie tot.
So verscheuchte er der Reihe nach alle Büro-
kollegen aus der Stube und blieb allein.
Er betrachtete im Spiegel die rote Weste, die
er gestern gekauft hatte, und fand, daß sie ihn gut
kleide. Geld genug hat sie gekostet, doch man
kann schließlich nicht zerlumpt herumlaufen. Gut
nähren mußte er sich auch. Zum Frühstück aß er
weiche Eier, mageren Prager Schinken und ge-
röstete Brotschnitten. Zum Mittagessen zartes
Kalbfleisch und Dunstobst. Dafür hatten seine
Kinder großen Respekt vor ihm und brüsteten sich
in der Schule damit, ihr Vater habe eine rote
Weste, tausend Gulden Jahresgehalt und eine
Krankheit, die außer ihm niemand auf der ganzen
Welt besitze. Die anderen waren voll Neid, lach-
ten die Schmiedkinder aus, verhöhnten und ver-
folgten sie. Der kleinste Junge kam oft heulend
heim.
Schmied ging stolz und gespreizt einher; ge-
hobenen Hauptes. Er legte sich auch eine gold-
gefaßte Brille bei und lud Gäste ein. Sein Selbst-
bewußtsein schwoll, wenn er immer wieder mit
der Erzählung seines Falles begann. Der Arzt
hatte ihm in einem kleinen Glas den herausoperier-
ten Körperteil geschenkt, er hielt ihn sorgfältig im
Kasten versperrt und zeigte ihn jedermann. Im
obersten Fach war der Platz des herausgeschnitte-
nen Blinddarmes, dort thronte er. Das slovakische
Dienstmädchen wich dem Kasten in weitem Bogen
aus.
Eines Morgens klingelte er erfolglos im Amte.
Wo blieb der Diener? Wo, in des Teufels Namen?
Endlich kam er.
„Sie Faulpelz!" — herrschte Schmied ihn an,
vor Wut am Ersticken nahe.
Der Diener, der ihn noch nie so zornig gesehen
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um Dich
empor
Ein kreisendes Erdenrund
Du
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Aus Mondlicht
ein Dom
ist Deine Liebe
Die Welt
tönt
Deine Sehnsucht
Dein Schweigen kniet
Deine Stimme
bebt
Verlangen
Durch meine Sinne
schreitet
Dein Gang
Dein Lächeln
gebärt
Mich
Appendicitis
Desider Kosztolänyi
Der Name meines Helden ist: Josei Schmied.
Jch beeile mich, dies kundzutun, bevor ich mit der
Erzählung seiner Geschichte beginne. Im Adreß-
buch finden wir mindestens zweihundert Menschen
ähnlichen Namens, und wenn wir bedenken, daß
all diese Leute gar nichts mit dem Hammer, dem
Ambos oder sonstigen Werkzeugen des ehrsamen
Schmiedehandwerks gemein haben, wird es un-
faßbar, warum sie sich so krampfhaft an einen
Namen klammern, dessen häufiges Vorkommen
monoton traurig wirkt. Auch die trübsame Ge-
schichte meines Helden hängt — so meine ich —
mit seinem Namen zusammen.
Schmied war ein fleißiger Beamter, trug beim
Arbeiten schwarzleinene Schutzärmel über dem
Rock, auf der Nase einen Kneifer und schrieb in
vornübergebeugter Haltung an seinem Schreib-
tisch. Am Morgen tauchte er schon um dreiviertel
auf acht im Stiegenhaus auf, rieb sich die Hände,
ließ sich einen Kaffee bringen, hüstelte bescheiden,
breitete die raschelnden Papiere auseinander und
dachte daran, daß man ihn zum neuen Jahr ganz
bestimmt befördern werde. Im allgemeinen ist er
von allen gut gelitten, besitzt vier Kinder, die jeden
Vormittag die Türe seines Amtes knarren lassen,
und eine Frau, die noch niemand zu Gesicht be-
kommen hat. Wenn man das bauchige Wasser-
glas vor ihn hinstellt, aus dem Schmied den Kaffee
zu trinken pflegt, muß er glotzend die Augen
mühen, um nicht den Kuchen in das Tintenfaß zu
tunken. Er grüßt jedermann zuerst, und seitdem
es ihm eines Tages passierte, daß er seinen Kanz-
leivorstand übersah, lüftet er auch vor dem Diener
den Hut. Ein schöner Mensch ist er nicht, er hat
eine breite und stumpfe Nase und hellergroße
Sommersprossen im Gesicht. Seine Schnurrbart-
haare gleichen den trockenen und fahlen Fäden
des Pursitschantaboks.
An einem verschneiten Morgen sitzt er in der
Kanzlei. Vor ihm steht — ohne Schaum — der
Kaffee und liegt eine Schnitte gelben, rosinen-
besäten Kuchens. Er tunkt den Löffel ein, schreit
auf, sinkt ohnmächtig in den Sessel zurück, und
dicke Schweißperlen rollen ihm über die Stirne.
Im nächsten Augenblick ist die Stube voll Leute.
Man setzt ihn in einen Wagen, fährt ihn heim
und ins Spital.
Am Nachmittag geht in der Kanzlei von Mund
zu Mund die Sensationsnachricht:
„Er hat Blinddarmentzündung . . . Blinddarm-
entzündung . . . wird operiert . . . wird ope-
riert . . ."
Der Kanzleivorstand steht vor dem Wasch-
tisch, reibt sich mit Bimsstein den Tintenklecks
vom Mittelfinger der rechten Hand und schüttelt
väterlich bedauernd den Kopf:
„Der arme Kerl, der arme . .
Am Nachmittag fand sich Schmied auf einer
Liegestätte im Spital gebettet. Er hatte be-
reits die traurig-steife Haltung der kranken Leute
angenommen, hielt die knochigen Finger gefaltet
und beobachtete die Uhrenzeiger, die die dritte
Stunde wiesen. Es fiel ihm ein, daß er sich sonst
um diese Zeit im Amt befinde, und er fand das
Leben hier endlos leer. Wie kummererfülit die
Stunden dahinschleichen. Ungewohnt ist ihm ein
solcher Nachmittag, ungewohnt diese Stube, un-
gewohnt -die großen Veränderungen. Auf dem
Bauche liegt ihm ein Eisbeutel. Auf dem Nacht-
kästchen steht die elektrische Klingel und das Ther-
mometer. Schmied schaute auf die Klinge! und
das Thermometer und brach in Weinen aus.
Tränen flössen über die Sommersprossen.
Um fünf Uhr leuchtete die elektrische Beleuch-
tung auf. Bis sechs geschah nichts. Um diese
Zeit kam der Arzt, Schmied wurde gebadet, zur
Operation bereit gemacht, in den gepolsterten
Fahrstuhl getragen und von ihm in den Operations-
saal befördert.
Hier übermannte ihn unsägliche Erbitterung,
die er vergebens in Worte fassen wollte, er stam-
melte bloß, schluckte die salzigen Tränen hinab
und dachte an das Leben, das jäh zugreifende, un-
erbittliche, grausame.
Im Saal war es blendend hell. Der Arzt sprach
auf Schmied ein, doch dieser verstand kein Wort.
In der nächsten Minute hatte er die Chloroform-
maske über dem Gesicht Was flüstern die Leute
ringsum? 0 jäh zugreifend, unerbittlich, grausam
ist das Leben. Sein Weib . . . die vier Kinder . .
das Amt . . . die Akten ... die Rechnungen . . .
die glücklichen ) freien Sonntagnaohmittage . . .
zum Schlüsse, mit klopfendem Herzen geahnt, mit
jedem Glied davor zurückbebend, der Tod, der
Tod . . . der Tod ... Er ringt um Bewußtsein
und weiß, er wird in der nächsten Minute schlafen.
Die Luft ist fieberrot. Alle Gegenstände halluzi-
nieren. In der Ferne leuchtet durch die fahle Röte
eindringlich ein glühender Punkt, wie das Ende
einer brennenden Zigarette. Die Punkte ver-
mehren sich; nun sieht er zwei, drei, vier, viele.,
dann keinen mehr.
Am kommenden Morgen.
„Geht es dir besser?" fragt eine leise Stimme,
und jemand beugt sich behutsam über ihn.
Es ist seine Frau. Sie sieht wie eine magere
Henne aus, mit aufgewühlten Federn, neugierig
beweglichen Augen, blaß von Aufregung und
Wachen.
„Wie geht es dir?" fragt sie wieder, noch leiser.
Schmied hört die Frge, gibt aber keine Ant-
wort. Er öffnet die Agen und wimmert, schlürft
ein Löffelchen kalten, bitteren Tees, schluckt Eis
und sinkt -dann wieder in Apathie zurück.
Die Operation ist ausgezeichnet gelungen, zur
vollsten Zufriedenheit der Herren Aerzte, die in
dieser Erkrankung einen ganz gewöhnlichen Nor-
malfail sehen, ohne sonderliches Interesse, für sie
bei weitem weniger wichtig als für den Patienten,
ln einigen Tagen wurde ihm mitgeteilt, es nehme
alles den besten Verlauf, er könne in einer Woche
bereits gesund das Spital verlassen und sich wei-
tere vierzehn Tage nachher ins Amt begeben.
Schmied vernahm dies trauernd.
Er wurde um so mißgestimmter, je besser er
sich befand. Mit saurem Gesicht empfing er die
Besucher, preßte den Kopf in die Polster, ließ das
Kinn sinken, schloß vorsichtig die Augenlider, da-
mit nur durch einen kleinen Spalt in geheimnis-
voller Unklarheit seine fiebrigen Augenäpfel sicht-
bar blieben.
„Es geht dir doch schon ganz gut", behaupte-
ten die Freunde.
„Pumperlgesund ist er wieder!" sprach der
Kanzleivorstand, und sein feister Bauch hüpfte vor
Lachen.
Verächtlich ließ Schmied seine Blicke über die
Leute gleiten. Bitterer Zorn würgte seine Kehle;
er wollte fluchen, fand aber dann die Menschen
nicht einmal dessen wert und würgte die bösen
Worte hinab.
Hinkend und schleppenden Schrittes kam er
ins Amt, einen dicken Schal um den Hals gewun-
den. Mit allen Einzelheiten erzählte er sehr aus-
führlich jedem seinen Fall. Denn die Sache lag
nicht so einfach, wie Laien glauben mögen Im
Gegenteil, es war dies eine ganz eigenartige und
überaus gefährliche Geschichte, und man mußte
es, das sagten auch die Aerzte, geradezu als
Wunder bezeichnen, daß er mit dem Leben davon-
gekommen sei. Der Operationsschnitt, nun ja, der
reicht von hier bis hier . . . aber selbstverständ-
lich, narkotisiert wurde er auch. Drei Aerzte
narkotisierten ihn, und geschlafen hatte er wie tot.
So verscheuchte er der Reihe nach alle Büro-
kollegen aus der Stube und blieb allein.
Er betrachtete im Spiegel die rote Weste, die
er gestern gekauft hatte, und fand, daß sie ihn gut
kleide. Geld genug hat sie gekostet, doch man
kann schließlich nicht zerlumpt herumlaufen. Gut
nähren mußte er sich auch. Zum Frühstück aß er
weiche Eier, mageren Prager Schinken und ge-
röstete Brotschnitten. Zum Mittagessen zartes
Kalbfleisch und Dunstobst. Dafür hatten seine
Kinder großen Respekt vor ihm und brüsteten sich
in der Schule damit, ihr Vater habe eine rote
Weste, tausend Gulden Jahresgehalt und eine
Krankheit, die außer ihm niemand auf der ganzen
Welt besitze. Die anderen waren voll Neid, lach-
ten die Schmiedkinder aus, verhöhnten und ver-
folgten sie. Der kleinste Junge kam oft heulend
heim.
Schmied ging stolz und gespreizt einher; ge-
hobenen Hauptes. Er legte sich auch eine gold-
gefaßte Brille bei und lud Gäste ein. Sein Selbst-
bewußtsein schwoll, wenn er immer wieder mit
der Erzählung seines Falles begann. Der Arzt
hatte ihm in einem kleinen Glas den herausoperier-
ten Körperteil geschenkt, er hielt ihn sorgfältig im
Kasten versperrt und zeigte ihn jedermann. Im
obersten Fach war der Platz des herausgeschnitte-
nen Blinddarmes, dort thronte er. Das slovakische
Dienstmädchen wich dem Kasten in weitem Bogen
aus.
Eines Morgens klingelte er erfolglos im Amte.
Wo blieb der Diener? Wo, in des Teufels Namen?
Endlich kam er.
„Sie Faulpelz!" — herrschte Schmied ihn an,
vor Wut am Ersticken nahe.
Der Diener, der ihn noch nie so zornig gesehen
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