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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 21/22 (Erstes und Zweites Februarheft)
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Walden, Herwarth: Der menschliche Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0128

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Vermieter werden die Künstler anerkennen. Ein
Stand, der einerseits gestützt werden muß, ist
andererseits kein Stand. Und noch freier schalten?
Jeder unbescholtene Staatsbürger darf Bildcr
maien, soviel er will. Und beschoitcne Maler
bleiben im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte.
Aber damit nicht genug. „Unsere Kunst bedarf
der festen Eingliederung in die Volksgemeinschaft.
Sie war in ihren jüngsten Trieben ganz zum
Luxus- und Sportartikel einer tonangebenden
Oberschicht geworden, war durch deren wider-
natürliche Geschmacksrichtung in eine verhäng-
nisvolle Isolierung hineingeraten." Die andern
Schichten aber standen also für die Eingliederung
zur Verfügung. Wer eben Luxus- und Sportartikel
braucht, kauft sie, auch wenn sie noch so wider-
natürlich sind. Wenn diese Kunst, diese verhäng-
nisvolle, isoliert ist, kann sie doch keinen Schaden
mehr anrichten. Die Widernatürlichen finden die
Natürlichen unnatürlich. Und die Volksgemein-
schaft ist überall für Luxus und Sport, was ganz
natürlich ist. Diese Artikehnachcr und diese Ar-
tikelschreiber haben aber gar nichts mit der Kunst
zu tun, die sich nicht eingcglicdert, sondern der
man sich einzugliedern hat. „Vor tausenden von
Bildern fragte sich alle Welt: weshalb, wozu,
wohin damit?" Die Malermeister sind nicht alle
Welt. „Man machte geradezu Kunst gegen das
deutsche Volk." Man macht allerdings auch nicht
Kunst für das deutsche Volk, weil man Kunst
überhaupt nicht macht. Jedenfalls, die Künstler
müssen bekämpft werden: „Da ist tatkräftiger
Widerstand, ein herzhaftes Beschneiden der Ver-
lotterung und Geistesfäule von Nöten." Ein Bild
von Momme Nissen. Er sollte lieber in der Werk-
statt der Kunst aufräumen, als Geistesfäule herz-
haft beschneiden. Ein Sauvergnügen übrigens. „Da
ist eine ernste Warnung unserer noch Sitten- und
phantasiereinen Jugend vor dem Aufsaugen giftiger
Ansteckungskeime dringlich geboten." Keime sind
gegen Warnungen immnu. Wenn mir der Herr
Momme Nissen doch endlich mal einen Namen
nennen wollte, den Namen eines Künstlers, der die
Sitten- und phantasiereine Jugend ansteckt. Ich
bin so unglaublich gesund, daß ich gerne einmal
die Ansteckung wage. Höre ich Namen, so schließe
ich mich vielleicht auch „den verschiedensten
Autoritäten aus konservativen und liberalen La-
gern" an, die vor Ansteckung warnen. Nur
scheinen mir bisher die Autoritäten die Feinde
in ihrem eigenen Lager nicht zu sehen. Die Feinde
der Kunst verstecken sich hinter die Autoritäten,
deshalb werden sie von ihnen auch nie bemerkt.
Endlich hat Herr Momme Nissen gefunden, daß
seine Bilder so schlecht verkauft werden, weil
die Kunsthändler sich nicht für ihn interessierten.
Die Kunsthändler haben den Malermeistern das
Geschäft verdorben. Sie alle weigern sich stand-
haft, Oelgemälde von Momme Nissen und Ge-
nossen zu führen, trotzdem das Publikum sich um
diese oelige Nahrung schlägt. Der Kunsthändler
will nicht. Er kauft nur Geistcsfäule. Infolgedessen
das arme Publikum auch. Weder König noch
Bauer können sich ihre Marinestücke verschaffen:
„Herrschte hoch eine Malerschaft, durch die der
König wie der Bauer um ihr Recht und ihre Freude
kamen, frevelhaft vor, wo sie nur hätte dienen
dürfen." Ich kann mir denken wie geknickt der
Bauer im Salon Schulte seinen Kandinsky hin-
nahm, wo er sich doch nach seinem Kiese! sehnte.
Das ist nicht recht von Schulte und den andern
Kunsthändlern. Und vielleicht gab Herr Cassirer
dem König einen Liebermann, einem König, der
sich nach einem Rembrandt-Schuibild sehnte.
Hierauf besinnt sich der deutsche Momme Nissen
auf sein Vaterland, wie ganz anders ist es da:
„Dafür muß jenes edle Vertrauen zwischen echten

Künstlern und Kunstliebhabern auch bei uns ail-
mählich Wurzel fassen, das bei d-en Dänen eine
so wohltuend landestreue und doch maßvoll mo-
derne Hauskunst gedeihen ließ." Also die Selbst-
besinnung auf die Grundlinien unseres Schaffens
innerhalb unserer Landesgrenzen hat für Däne-
mark ein Ausnahmegesetz. Maßvoll moderne
Hausmannskunst nimmt Herr Momme Nissen
selbst vom Ausland gütigst entgegen. Oder sollten
die Pflöcke des Herrn Aloinme Nissen dort abge-
steckt gewesen sein, wo man so wohltuend landes-
treu in der Kunst ist. Oder ist etwa gar Herr
Momme Nissen auch so ein unsicherer Kantonist,
der die Kantone nach Belieben der andern wech-
selt. „Haben wir Künstler es nicht selbst ver-
schuldet." Was sagen wir Künstler nun. Oder
haben wir Künstler jetzt vielleicht das weite Herz,
das uns gestattet in alle Kantonen heimisch zu
werden. Mit maßvoll deutsch-dänischer landes-
treuer Hauskunst. „Dafür muß warmherzige Emp-
findung fürs Vaterlandsganze, dürfen nicht eitler
Egoismus noch Ncuerungssucht den Pinsel führen."
Jeder Pinsel für ein Vaterland, der brave Momme
Nissen sogar für zwei. Denn er ist maßvoll. „Da-
für muß der Künstler es sich zur Ehrenpflicht an-
rechnen, so weit die stilistischen Erfordernisse des
Werkes es zulassen, wohlberechtigtcn mensch-
lichen Wünschen von Kunstförderern entgegen-
zukommen. Hat er doch lange genug der Tyrannei
schwindsüchtiger Alodcrnisten einen unwürdigen
Tribut gezollt." Ein würdiger Tribut ist es,
menschlichen Bedürfnissen von Kunstförderern
eutgegenzukommen. Den Frauen soll man be-
sonders zart entgegenkommen. Natürlich so weit
die stilistischen Erfordernisse des Werkes es zn-
lasscn. Die Ehrenpflicht des Künstlers ist es, maß-
voll in den stilistischen Erfordernissen des Werks
zu sein. Hierauf wirft Herr Momme Nissen den
Pinsel fort und veranstaltet das große Künstler-
fest des Friedens: „Darum stimmt die Instru-
mente, ihr Künstler, bereitet das Heimkehrfest vor,
eure Kräfte, die mau zu lascher Lüstlingstat zu
erniedrigen strebte, sollen einen großen deutschen
Liebesdienst tun, sollen den Geist der Aufopfe-
rung und Hochherzigkeit weiterpflanzen in kom-
mende Geschlechter!" Das wird einen Jubel geben,
wenn die Künstler mit neugestimmten Lauten, mit
Vivatbändern des Herrn Momme Nissen an unsere
Laudesgrenzen ziehen. Die Künstler, deren Kräfte
man zu lascher Lüstlingstat vergewaltigte, werden
jetzt der Liebe und der Fortpflanzung dienen.
Wenn er nur Namen nennen wollte, der Herr
Momme Nissen. Aber Lüstlinge reden sich immer
auf ihre Opfer heraus. Künstler hingegen auf den
großen Bruder: „Wie Hindenburg bei aller Neu-
heit seiner Kriegswerkzeuge gleich wie ein Bruder
von Blücher dastcht, so sollte audh Neudeutsch-
lands Künstler bei aller technischen Neuerung und
hoffentlich Vervollkommnung brüderlich nahe an
die Seite von Dürer, Schlüter und Schwind treten."
Hindenburg begnügt sich mit Blücher. Neudeutsch-
iauds Künstler, Herr Momme Nissen, muß nahe an
die Seite von drei Brüdern treten, die etwas ab-
rückcn. Weil der neue Bruder noch die hoffent-
lich Vervollkommnung zu brüderlich nimmt. Der
große Bruder und die größeren Brüder sind immer
Brüder von dem kleinen Bruder. Der kleine
Bruder schimpft und der große Bruder schlägt.
Endlich „wird die lautere deutsche Volksseele,
welche diesem Krieg einen so hehren Charakter
eingeprägt hat, auch in der Kunst wieder ihren
gebührenden Ehrenplatz erhalten." Herr Momme
Nissen rückt also etwas an die Seite. Monogramm
des Herrn Momme Nissen: der eingeprägte Cha-
rakter.
„Kunst ist kein triebhaft unbewußter Rausch,
soü kein tändelndes Schlürfen von Schleckereien

sein. Sondern sie ist trotz des Unterstroms dtiaä-
ler Gcfühie von vorne bis hinten eine bewußte ust^i
durchdachte Leistung des Geistes." Der erste
Satz ist ziemlich besoffen. Man muß schon ziem-
lich berauscht sein, um Schleckereien tändelnd
zu schlürfen. Der zweite Satz hingegen ist von
vorne bis hinten geistreich. Kunst ist die Gestal-
tung des Triebhaft-Unbewußten. Die Kunst der
Herren Momme Nissen und Genossen die bewußte
und undurchdachte Verunstaltung dei Leistung
des Geistes eines Andern. „Der Darstellung einen
starken packenden Inhalt zu geben, mit ausge-
reiften Mitteln eine große Idee,' einen schönen
Vorgang vor Augen zu bringen, sodaß sie Wider-
hall in unserm Innersten weckt, das ist keines-
wegs das Mindere, es ist vielmehr das unver-
gleichlich Höhere gegenüber der blossen Wie-
Alalerei." Viele Leute können sich eben das Gehen
nicht denken, wenn sie keinen Vorgänger haben.
Und dann behaupten sie noch hinterher, daß der:
Vorgänger nicht geht. Aber er geht doch, wenn
es auch nicht geht. Diese Was-Maler sind so
kindisch, daß sic glauben, sie können den Inhalt
ohne Darstellung geben. „Wo man das Gegen-
ständliche zugunsten eines reinsinnlichen Wühlens
in Licht- und Farbengemischen für gleichgültig
ausgab, da ist naturgemäß, weil schließlich doch
keine Kunst ohne Inhalt sein kann, ein gemeiner
Gehalt bevorzugt worden." Also das Gegenständ-
liche ist unsinnlich. Das stimmt für die Bilder der
Herren Akalermeister. Denn die nackten Damen,
die je nach den Zutaten Wahrheit, Freiheit und
Schönheit darstellen sollen, sind nur Modelle des
Künstlervölkchens. Geeignet für Liebesdienst, aber
nicht für Kunst. Schönheit ist also gemein, wenn
sie nicht Venus heißt. Unter {Venus tun es die
deutschen Kiinstier nicht. Und der blinde Geiger
ist die Darstellung des packenden Inhalts der
Musik. Die Toteninsel liegt in Genf. Alles keine
Kunst mit Inhalt. „Doch jetzt weht ein Geist der
Wiedergeburt in unseren Landen." Diese Geburt
in den Lüften macht den Kunstmaler, der Lauten
stimmen ließ, zum berauschten Dichter: „Unsere
Kunst richtet sich selbst, wenn sie nicht imstande
ist, diesen Geist in kostbare Schalen zu füllen."
In der freien Natur liegt die Leinwand im kost-
baren Goldrahmen auf der Erde. Sie ist imstande,
„Die langentbehrten großen Impulse, jetzt sind sie
ihr zugeflossen." Der Geist regnet. „Nutze, er-
greife sie, deutsche Kunst; Du hast es doch früher
vermocht." Es muß ergreifend sein, diesem Er-
greifen der regnenden Wiedergeburt beizuwolmen,
„Ziehe tiefe Furchen durchs Land." Mit Regen,
„Forme ein reines Abbild der Heimat, schildere
den vollen Zauber dieses Wortes, den heiße Sehn-
sucht und bittere Sorge uns so liebiich verjüngt
hat." Die Herren formen eben immer nur Abbilder,
nie Bilder. Wenn man den Zauber schildert, ist
der ganze Zauber fort. „Male das meerum-
schlungene, das waldumringte Land und Volk, wo
immer Du Dich zu Hause fühlst, damit wir be-
glückt die segenbeladenc Erde erkennen und in
Ehren halten, für die so namenlos schwer ge-
stürmt, so viel geopfert worden ist." Wo immer
Du Dich zu Hause fühlst. „Verherrliche dem
Liedersänger gleich die reckenhaften Heiden, die
Fürsten und Führer und aile die Taten der Vater-
iandstreuen draußen wie daheim, damit die Vor-
bildlichkeit der Blütezeit bei Kind und Kindes-
kindern unvergessen bleibt." Die Vorbildlichkeii
der Blütezeit ist recht unbildhaft. „So wende denn
die Kunst alle Mittel, von alten Meistern erlernte
wie der Neuzeit entstammte, umsichtig an, um
einen warmen Strom der Liebe in die
Herzen zu leiten. Dann erst erfüllt sie ihre Sen-
dung." Die Mittel der Herren Momme Nissen
und Genossen reichen kaum für eine Wasserlei-

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