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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0148

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ndAie, „ihn selbst und natürlich auch seine Elisa-
beth, sein Kind, dann den tapferen Georg und den
Lerse." Die Mitte nimmt schon die ganze Bühne
ein, die Seiten müssen sich zusammendrücken:
„Alles andere, auch der bischöfliche Hof, ist Bei-
gabe und von Wert nur, soweit es dem notwen-
digen Kontraste dient." Auf Kontrastwirkungen
versteht sich der Meister Engel. Er dichtet ernst
und heiter, obschon es bei ihm keine Kontraste
sind. Das witzigste Gedicht des Ulks ist nicht ge-
witzter als diese Berlinische Dramaturgie. Wo
smd die Kontraste. Die Kontraste hat der Herr
Engel gepachtet. Hier trennt sich der Weg des
Dramaturgen von dem Weg des Bearbeiters:
„Deshalb gehe ich nicht ganz mit Kayßler zu-
sammen." „Adelheid duftet stark nach Kulisse."
Herr Engel weiß, wie eine Frau zu riechen hat.
„Es ist goethephilologisch gewiß willkommen,
Zeuge der Naivität des jungen Dichters zu sein
und zu beobachten, wie er den Lichtgestalten
Götz und Genossen dieses „dämonische Weib"
entgegenstellte." Goethe hat eben dieses dämoni-
sche Weib entgegengestellt, um den Goethe-Philo-
loge-n willkommen zu sein. Was hätten die Herren
sonst schließlich machen sollen. Dämonische
Weiber gilt es nur für naive Dichter, nicht für
Engel und Genossen, die mit den Lichtgestalten
de? Frauen besser Bescheid wissen. Dämonische
Weiber verstehen nicht einmal etwas von Goethe-
Philologie und sind deshalb unwillkommen: „Aber
zu sagen hat uns Adelheid Nichts." Die Naivität
von Jung-Goethe kann „uns" leid tun. Nur keine
dämonischen Weiber. „Deshalb, da gestrichen
werden muß, streiche man hier." Das ist Dämonie
unter dem Strich. Aber der Goethe hat die Dämonie
so hineingearbeitet, daß sic nicht gänzlich heraus
verarbeitet werden kann. Diese Dichter stören
mit ihrer Naivität die Bearbeiter wirklich ganz
empfindlich: „Wenigstens Szenenteile; ganze
Szenen werden nicht zu entbehren sein. Denn
jede dient zentripetal der Gesamtwirkung und so
sehr sie mit vielen Verwandlungen von einander
forfzuströmen scheinen, so wenig sind sie als
Basis des großen fünften Aktes zu vermissen."
Goethe war wirklich rücksichtslos. Er hatte Alles
sc ineinander verdichtet, daß die beste Schere
bricht. Nicht einmal die Adelheid läßt sich heraus-
schneiden. Die ganze Zentrifugalkraft nützt bei der
Zentripetalität nichts. „Rasch also vollziehen sich
die Ereignisse nicht." Der Engel hat absolut keine
Zeit, er muß die Nachtkritik schreiben. Aber etwas
stimmt ihn doch wohlwollend gegen Goethe:
„Lediglich üpr Drahhühnn rrtao* stp anrh rrxüst nur
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jagen. Die wilden Pferde, die immer engere
Kreise ziehen und die Mitte frei lassen, damit sie
den Herren mit der kleinen Peitsche nicht wehe
tun. Man glaubt zu zähmen und man wird ge-
zähmt. Die wilden Pferde finden ihren Kreis auch
ohne Mitte.
Kayßlers Volksstück auf der Bühne
Man braucht das Volksstück nicht zu sehen.
Denn Herr Fritz Enge! sah es so, daß man es nicht
mehr sehen kann. Der Dichter selbst spielte den
Titelheld: „Friedrich Kayßler spielt selbst den
Götz." Er hat sich verstanden: „Die seelischen
Beziehungen zwischen Darsteller und Rolle sind
unverkennbar." Der Darsteller wird wohl die Rolle
auswendig gelernt haben. Auch Rollen haben zu-
weilen Seelen. Herr Fritz Engel erinnert sich:
„Wenn ich an den toten Matkowsky denke, sehe
ich ihn immer als den sterbenden Götz." Und der
lebende AJatkowsky erinnert ihn an Kayßler: „Ich
will ihm nicht wehe tun, wenn ich an Matkowsky
erinnere, der durch seine Schönheit und durch
seine rassige Männlichkeit berauscht" Herr
Kayßler berauscht im Gegensatz hierzu bekannt-
lich durch herbe Männlichkeit. Die Darstellerin
der Frau Elisabeth bekommt eine Transfusion:
„Helene Fehdmer als Frau Elisabeth ist am Schluß
prachtvoll. Das Blut der Dichtung ist dann in sie
übergegangen. Vorher ist sie ein wenig trocken.
Elisabeths Model! ist nun einmal Goethes Mutter,
und diese Frau war gewiß springlebendig.". So
ein Modell muß ja die trockenste Frau quietsch-
vergnügt machen. Selbst der ernste Kritiker
wird ein ulkiger Springinsfeld. Schwerer ists mit
der Dämonin, für die es kein Modell gibt: „Irene
Triesch nimmt die Dämonin Adelheid mit aller
Bühnenbeherztheit." Sie duftet stark nach Kulisse.
„Die Verlockung ist ja groß, sich hier auf das
wogende Meer des großen Theaters hinauszu-
schaukeln." Leider ist die Bühne mit dem Hinter-
grund durchsetzt. Im übrigen ist Herr Engel für
Ausgleiche, worunter er Aneignungen versteht.
Das heißt, Frau Elisabeth soll etwas schaukein und
Frau Triesch sich etwas ins Trockene setzen.
Oder auf englisch: „So wäre eine Ausgiättung
des Ganzen dadurch zu erreichen, daß Frau
Triesch etwas von der Reserve der Frau Fehdmer
und Frau Fehdmer etwas von der Farbigkeit der
Frau Triesch sich an eignet e. Auch sonst sind
solche Ausgleiche noch erwünscht." Wenn
diese Ausglättung erfolgt ist, werde ich mich auch
einmal auf das schlüpfrige Parkett des Pans im
Salon begeben. Bis dahin hat Herr Engel den Vor-
rang oder den Klubsessel.
Herwarth Waiden
Berichtigung: In der vorigen Nummer
heißt die Zeile 36 von oben, auf Seite 98.
Spalte 2:
. . . immer nur einen Stern, wenn eine Stern-
schnuppe .
Diese Zeile muß lauten:
. . . immer nur einen Stein, wenn eine Stern-
schnuppe .

Absage

an einen naturalistischen Kritiker
Ich habe nicht den Tadel vergessen, den Sie
mir nach der Lektüre meines Buches „Die
schwarze Fahne" erteilten: noch einmal weise ich
darauf hin, daß eine Ausdruckskunst auf vöilige
Ueberwindung der nur psychologischen Erzäh-
lungsweise hinstreben muß; je reiner ich die Psy-
choiogie auflöse im künstlerischen Plan, desto

dichterischer kann ich sein. Ich gehe soweit zu
sagen, daß Psychologie überhaupt nichts mit Kunst
zu tun hat, und daß sie, die Allem dienstbare Psy-
chologie, die Geringste der Aiügde im Dienste des
strengen Lebens ist.
Si.e bezeichneten meine Schilderungsart als
„bronziert", auf das psychologische Grundge-
schehcn seien Himmel, Wolken, Winter und die
handeinde Person selbst, der Bran*), aufbronziert!
Fs ist das Kennzeichen kritischer Aermlichkeit und
Alutlosigkcit, eine Kunst, die auf neuen veränder-
ten Grundbedingungen beruht und daher in unge-
ahnten, bisher unbekannten Gestalten auftritt, ab-
zuurteilen mit dem ein langes Leben hindurch ge-
läufig gewordenen Maßstab, der auf Grund ande-
rer Seins-Bedingungen der Kunst entstand, ln der
Tat ist eine neue Kunst mit bedeutenden reifsten
Werken entstanden, die mit erstaunlicher Heftigkeit
das psychologische Mittel dem Naturbereiche zu-
weist, es in scharfe Zucht nimmt und es eng auf
seine dienende Eigenschaft beschränkt. Der psy-
chologische und eindrucksmäßige Naturalismus
predigt Ehrlichkeit. Natürlichkeit des Daseins,
seine Sache ist daher die Psychologie der Welt
und niemals ihr Wesen! Wir sahen die na-
turalistische Literatur etwa an der Aufgabe schei-
tern, das Wesen der Welt und ihre ruhm-
reiche Geistigkeit zu ergreifen, darzustellen und
innig zu sein.
Die stoizen Werke der Kunst unseres neuen
Geschlechtes. — welches heute auf den Schlacht-
feldern blutet und den köstlichen Siegespreis mit
seinem Leben zahlt — die erneuerten und verjüng-
ten Künste der Malerei, Bildnerci und Dichtung
fassen mit gesammelter Energie alle Sachlichkeit,
alles Leben und sein innigstes Wesen und seine
Geistigkeit in unendlicher Synthese auf, doch wohl-
gemerkt, die Ausübung solcher neuen Kunst setzt
das Bestehen einer geheimnisvoll bindenden Kraft
von großer Strenge voraus, (solche wie sie immer
die Menschheit in den wenigen Augenblicken der
großer Kunst besaß!). Und zugleich geschieht das
Wunder, die Natur legte erfreut alle ihre edelsten
und erdkräftigsten Gaben der jungen Kunst Euro-
pas als Morgengabe in die Wiege. Nein, die junge
Kunst braucht nicht mehr die Bronze und die Pa-
tina, sie gießt nicht mehr die Natur zu gipsernen
Klichees ab. mißbraucht kein edies Kupfer und Erz.
Indem sie eine wundersame Sachlichkeit and hell-
sichtige Feinfühligkeit errungen hat vor dem Leben
von Blut und Geist, lächelt sie über den trüben
Vorwurf der Ignoranten, daß sie darauf ausgehe,
Effekte zu stehlen von dem lieben göttlichen Licht
und den ewigen Farben.
All dies „Bronzieren", dies Ersinnen der Licht-
und Farben-„Effekte", die Verunstaltung der leben-
digen Körperglieder der Kunst durch die
wuchernde Muskulatur, die Flachheit der süchti-
gen Psychologie, sie sind nicht nur der bejahrten
iebensblindyn Akademie zu eigen, sondern auch,
nur abwegiger noch, der verflossenen geistesblin-
den Wirkiichkeits- und Eindruckskunst. Man er-
kennt sie daran, daß für sie die Realität die kraft-
lose Armut einer Mietskaserne hat.
Erst vor den stolzen Werken der jungen kubi-
stischen Kunst stehen wir selbst in ungeahnter
Kraft erneuert, der Atemhauch des Ewigen rührt
uns nach schmachvollen Jahren künstlerischer
Fesselung an, seine Leidenschaft schlägt stürmisch
an unser Herz, gewaltige Freuden stehen in uns
auf mit Säulen von Licht. Die Vergangenheit ist
vor ihr endlich dahingebrochen.
Adolf Knoblauch

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.Bran" ist Kymrisch, heißt im Mabinogi „der
Große", „Bendigeid Bran" heißt der „Gesegnete und Große"
Bran von !915 hat sich das Wort jenes mittelalterlichen
Bran vorgesetzt: „Wer Haupt ist, soll auch Brücke sein".

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