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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 1) — Berlin: Grote, 1908

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71997#0213

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Deutungen und Auffassungen des Werkes 195

Erstens: die Hörner. Wie bekannt, erklären sich diese hier,
wie in früheren Fällen, aus der missverstandnen Übertragung des
Hebräischen: leuchtend ins Lateinische der Vulgata: qui videbant
faciem Moysi esse cornutam (II. Buch Mosis 34, 35).
Zweitens: der mächtige Bart. Der Padre Guglielmotti
(Storia delle fortificazioni nella spiaggia Romana) spricht die Ver-
muthung aus, Michelangelo habe als Modell den (1508 in Rom
nachweisbaren) Architekten Guglielmo von Piemont benutzt, von
dem es heisst: uomo di grande ingegno: di lunghissima barba et
folta che li passava mezzo palmo la cintura e se ne faceva trecce
intorno al capo (vgl. Bertolotti: Artisti subalpini in Roma S. 28).
Von Labats Schlussfolgerung aus der Statue (Voyage en Espagne
et en Italie) erzählt Winckelmann (Werke I, 63): „er hat aus dem
Barte der Statue bewiesen, wie Moses seinen Bart getragen und
wie die Juden denselben tragen müssen, wenn sie wollen Juden
sein." Müntz, wie dann auch Justi, wird durch den Bart an alt-
asiatische Monarchen erinnert; Volkmann hatte gefunden, er gebe
Moses das Ansehen eines Flussgottes.
Drittens: die Tracht. Über die eigenthümliche Bekleidung
der Beine mit Strümpfen und Hosen, die schon Condivi „all' anticha"
nennt, äussert sich Winckelmann (IV, 405). Er bemerkt, dass die
Hosen der antiken barbarischen Völker mit den Strümpfen aus
einem Stück und unter die Knöchel des Fusses durch die Riemen
der Sohlen gebunden seien; erst später sei der Strumpf von der
Hose abgeschnitten worden. Dann fährt er fort: „Michelangelo hat
sich also wider die alte Kleidertracht an seinem Moses vergangen,
da er demselben Strümpfe unter die Hosen gezogen gegeben, so
dass diese unter den Knieen gebunden sind." Quatremere de Quincy
betont auch seinerseits die Analogieen mit römischen Skulpturen
sarmatischer, asiatischer und anderer Nationen. Justi sieht im Be-
sonderen eine Nachbildung der Barbarenhose gefangener Dacier-
fürsten.
Das Satyrhafte des Kopfes, das von Milizia in seiner un-
würdigen Kritik betont worden war und neuerdings unter Anderen
von Justi hervorgehoben ward, gab Fuessli Anlass in einem Briefe
(Bottari VI, 293) die Vermuthung aufzustellen, Michelangelo habe
nicht nur, wie es heisse, den Arm des berühmten Satyr der Villa
Ludovisi, sondern auch den Kopf studirt, um dessen Charakter
seinem Moses zu geben; denn beide glichen einem „Caprone".
In der Erklärung des Motives gehen die Ansichten auseinander.
Vasari hat eine solche nicht gegeben. Condivi sagt: „Moses, der
Herzog und Kapitän der Hebräer, sitzt in der Stellung eines
sinnenden Weisen, hält unter dem rechten Arme die Gesetzestafeln
und stützt mit der linken Hand das Kinn, wie Einer, der müde
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