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Ulm — Nr. 8/​9.1962/​1963

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von links nach rechts
'Nachruf auf das Dessauer Bauhaus’.
Aus der 'Neuen Leipziger Zeitung'
vom 4. September 1932.
Der Brand des Reichstagsgebäudes
am 28. Februar 1933 in Berlin.
Der Marsch der SA durch das
Brandenburger Tor am 20. April 1933.
from left to right
'Obituary of the Bauhaus Dessau’. From the
'Neue Leipziger Zeitung’, September 4. 1932.
The burning of the Reichstag Building in Berlin,
February 28, 1933.
March of the SA-Army through the Branden-
burg Gate, April 20, 1933.

rationalistische selbstentfremdete Hoffnung
und ihr Konflikt mit dem aufkeimenden
Irrationalismus. Die drei Phasen Deutschlands:
-19-19—1924, das Chaos, die Arbeitslosigkeit,
der politische Mord. 1925—1929/30, die
trügerische Prosperität des Dawes-Planes,
der internationalen Kredite und der industri-
ellen Rationalisierung. 1930—1933, wiederum
das Chaos, die Arbeitslosigkeit und der
politische Mord. Aber das Bauhaus begnügte
sich nicht damit, das Hin und Her der Welt
widerzuspiegeln; es versuchte auch, diese Welt
zu verändern. Als man das Chaos verewigen
wollte, forderte das Bauhaus die Ordnung
(Gropius). Als man später die beklemmende
und schwankende Ordnung der industriellen
Rationalisierung zu verewigen suchte, forderte


das Bauhaus, dieser Rationalisierung einen
sozialen Inhalt zu geben (Meyer). Das
Bauhaus befand sich immer in Gegen-
richtung, weil es auf die Zukunft ausgerichtet
war. Daher der Haß auf das Bauhaus. Wingler
hat es verstanden, jene Dokumente zu suchen,
zu finden und auszuwählen, die ein Beispiel
für das Ausmaß und die Verbissenheit dieses
Hasses geben. Dokumente über das Bauhaus,
aber ebenso über das Deutschland von
damals. “Das Bauhausschaffen trägt die
Zeichen tiefster geistiger Entrücktheit und
Zersetzung an sich“, schrieb Herr K. Nonn
in einem Artikel mit der Überschrift 'Staatliche
Müllzufuhr. Das staatliche Bauhaus in Weimar’
(24. April 1924). Dokumente ebenso über die
ersten Reaktionen der Bauhäusler, in denen
noch das geschlagene und verletzte Bewußt-
sein protestiert, beschämt über die Brutalität
und die Dummheit der sozialen Umgebung.
Zitieren wir hier die Worte von Gropius in
seinem Brief an den Generalleutnant Hasse,
Militärbefehlshaber in Thüringen, nach der
Hausdurchsuchung auf der Jagd nach
belastendem Material “... schäme ich mich für
mein Land, Ew. Exzellenz, daß ich trotz der
Leistungen, die hinter mir liegen, in meinem
eigenen Land scheinbar schutzlos bin ...“
(24. November 1923). Und spätere Dokumente,
in denen das Bewußtsein nicht mehr
protestiert, sondern nur noch sich erhebt
und resigniert. Erinnern wir uns der Worte von
Meyer in seinem Brief an den Oberbürger-
meister Hesse (16. August 1930): “Ich
durchschaue alles, aber ich verstehe nichts.“

and the political murder. 1925—1929/30, the
deceptive prosperity of the Dawes-Plan, of the
international credits and of the technical
rationalisation. 1930—1933, disorder again,
the unemployment and the political murder.
But the Bauhaus did not restrict itself to a
reflection of the ups and downs of the world;
more than this it tried to transform this world.
When people intended to perpetuate
disorder, the Bauhaus insisted on Order
(Gropius). When later on people tried to
perpetuate the oppressive and unsteady order
of technical rationalisation, the Bauhaus
claimed to provide this rationalisation with
a social content (Meyer). The Bauhaus moved
always in the opposite direction because
it moved towards the future. This was the


reason for the hatred against the Bauhaus.
Wingler has managed to search, to find and
to select those documents exemplifying the
extent and the ferocity of this hatred.
Documents of the Bauhaus, but likewise of
the Germany of that time. “The Bauhaus work
shows the signs of extreme mental remoteness
and decay“, wrote Mr. K. Nonn in an article
entitled 'Public supply of rubbish. The public
Bauhaus at Weimar' (April 24, 1924).
Documents too, about the first reactions of
the Bauhaus members which show the beaten
and wounded consciousness still protesting,
ashamed of the brutality and the stupidity of the
social environment. We may quote the words
of Gropius in his letter to the Generallieutenant
Hasse, military commander of Thuringia,
after a search of his home for subversive
material: “... I am ashamed for my country,
Your Excellence, that I am apparently
unprotected in my own country in spite of my
achievements ...“ (November 24, 1923). And
later, documents in which the consciousness is
no longer protesting, but only recollecting
itself in resignation. Let us remember the
words of Meyer in his letter to Mayor Hesse
(August 16, 1930): “I see through it all, but
understand nothing.“

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