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Waldmann, Emil
Sammler und ihresgleichen — Berlin: Cassirer, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.52381#0193
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Än einer Bi ldnissammlung
Äm Eckzimmer des kapitolinischen Museums, oben, im ersten Stock.
An den Wänden stehen auf Börten, in zwei Reihen übereinander, die
Büsten römischer Cäsaren und ihrer Frauen, aus vier Jahrhun-
derten: Jünglinge und Männer, Greise und Kinder. Römer, Italiker,
Asiaten und Afrikaner. Alles in allem die Versammlung jener Men-
schen, in deren Händen die größte Macht der Welt vereinigt war, die
es je gab, und von der auch Alexander der Große einst nur hatte träumen
können.
Der Bedeutendste unter ihnen, Augustus, steht unauffällig in einer
Ecke. Ein feiner Kopf mit großen, schönen Augen, scharfen Formen von
edlem Bau, mit dünner Haut. Der Blick besonnen, aber gütig, der Aus-
druck ein wenig kränklich, nicht ganz so gelassen wie in jener Feldherrn-
statue, die sich Livia in ihrem Witwensih zu Primaporta ausgestellt hatte,
nicht ganz so kaiserlich. Aber auch noch nicht so durchaus vergeistigt, wie
in dem Londoner Kopf seiner Alterszeit, wo er aussieht wie Friedrich
der Große als Greis) unendlich verstehend, ein wenig bekümmert und
ein wenig resigniert: der Mann, der in späten Tagen Furcht hatte vor
der Größe der eigenen Herrschaft und seinem ungeliebten Erben Tibe-
rius riet, er solle das Reich nicht noch mehr ausdehnen. Man möchte
wissen, woher diesem wahrhaft edlen Antlitz das Kummervolle kam, ob
durch diese letzte skeptische Erkenntnis des Weisen, oder durch den Gram
über die fürchterliche Schande seiner lasterhaften Tochter Julia, die sich
in ihrem Wahnwitz nicht scheute, seine Rednertribüne zur Stätte ihrer
mehr als öffentlichen Buhlerei zu machen. Vielleicht war es auch Schuld-
bewußtsein — er sagte sich doch, daß er Tiberius unglückich gemacht
hatte dadurch, daß er ihn zur Ehe mit diesem entarteten Geschöpfzwang.
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