Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
116

IV. Funktion und religiöse »Wirksamkeit« - Techniken und Wege

Die wirkungsästhetischen Überlegungen, den plastischen Heiligen gegenwärtig zu halten,
dürften insbesondere frommen Bedürfnissen entsprungen sein. In dem Sinne, daß sich das
Betrachten von Bildern verehrter Heiliger als »Wahrnehmung der heiligen Person selbst« und
als »Begegnung mit dem Verehrten« erwies,i können die kompositen Bildformen als ein media-
les Experiment bezeichnet werden, um die Präsenzerfahrung des Interzessors zu steigern. Der
den tavole oftmals anhaftende Schreincharakter könnte für die Rezeption der Mediensynthesen
wichtig gewesen sein, da er die Konnotation von Skulpturen als Reliquienträger berührt und
damit zugleich auf die Möglichkeiten einer Entnahme des Kultbildes verweist.

i. Anachronistische Schreinfiguren, handelnde Bildwerke?
Bemerkungen zur Funktion der Skulptur innerhalb von
Medienkombinationen
Der formalen Genese intermediärer Altarbilder in Italien liegt ein vielschichtiger Prozeß
zugrunde, der Anregungen aus unterschiedlichen Richtungen aufnimmt. Die Verwendung einer
zentralen Skulptur dürfte eine Reminiszenz an das traditionelle Kultbild der italienischen
Romanik sein, die Marien-Maiestas, die oftmals plastisch und - wie im Falle der Madonna di
San Sepolcro (i 199, Berlin, Gemäldegalerie) - zur Aufhängung über dem Altar bestimmt war. 4
Darüberhinaus ist im italienischen Mittelalter die Kombination von Skulptur und Malerei
häufig bei Tabernakeln und Altarschreinen anzutreffen.* Hans Belting hat romanischen Schrei-
nen neben der byzantinischen Bilderwand einen wichtigen Stellenwert für die Entstehung der
Gattung des Altarbildes eingeräumt,6 wobei der Heiligenkult ein Schrein- und kein Bildkult
gewesen sei. Schreine wurden in der Regel hinter dem Altar aufgestellt, während Reliquiare aus
liturgischen Gründen ihren Platz auf dem Altar hatten.7 Als ein Beispiel sei hier der heute
gestohlene Marienschrein aus S. Maria di Giacobbe in Pale di Foligno genannt (Abb. 24).8 Der
im frühen Trecento entstandene Schrein weist im Zentrum eine geschnitzte, polychrom gefaßte
Madonnenskulptur auf, die von Seitenflügeln gerahmt wird. Eindeutig handelt es sich hier um
eine vor allem funktionalen Gründen geschuldete Medienkombination, da der verschließbare
Schrein das plastische Kultbild schützt. Vor einem ornamentalen Hintergrund thront die plasti-
sche Madonna, im Arm das Kind, während auf den klappbaren, bemalten Flügeln sechs Szenen
von der Verkündigung an Maria bis zu Christi Kreuzigung dargestellt sind. Die Verwendung
der Medie.i richtet sich hier nach den unterschiedlichen Bildebenen, die durch imago und histo-
ria, Madonnenskulptur und Historienszenen, bezeichnet sind. Malerei und Skulptur sind raum-

3 Zitate aus Scribner 1990, S. 16, der das Sehen und
die visuellen Qualitäten von Kunstwerken als we-
sentliches Merkmal der Volksfrömmigkeit herausar-
beiten konnte. Zur Materialpräsenz der Heiligen
und zur Annahme einer Identität der Präsenz von
repräsentiertem Heil und repräsentierendem Ge-
genstand in der mittelalterlichen Frömmigkeits-
praxis vgl. Lentes 2000, besonders S. 22-23.
4 Diese für die Toskana verbindliche Verwendung
plastischer Madonnen reflektiert etwa Coppo di

Marcovaldos Marientafel für S. Maria Maggiore in
Florenz (Abb. 25), auf der die Muttergottes als
Hochrelief aus Stuck auf eine gemalte Tafel aufge-
bracht gezeigt wird, vgl. Belting 1990, S. 434.
s Insbesondere das verschließbare Schreinbild war in
Italien weit verbreitet, dazu vgl. den umfassenden
Katalog für den Zeitraum des späten 12. Jahrhun-
derts bis zur 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bei Krü-
ger 1992, S. 219-230. Vgl. zu den custodie auch
Eisenberg 1977.
 
Annotationen