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IV. Funktion und religiöse »Wirksamkeit« -
Techniken und Wege
Die Entscheidung von Seiten des Auftraggebers, als zentrales Kultbild eine Skulptur in ein ge-
maltes Altarbild stellen zu lassen, dürfte nicht aus ästhetischen Erwägungen allein gefallen sein.
Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Einbindung der Bilder in die Liturgie sowie ihrem
paraliturgischen Gebrauch zentrale Bedeutung zukam.
Als unbeirrbarer Verfechter der Malerei als einer wissenschaftlichen Disziplin ist Leonardo
als Kronzeuge anzuführen, wenn es um die »Macht der Bilder« im Zusammenhang mit dem
Vollzug liturgischer Feierlichkeiten geht:
Hör non si vede le pitture rapressentatrici delle divine deita essere al continuo tenute coperte
con copriture di grandissimi prezzi, e quando si scoprano prima si fa grande solennita eclesia-
stiche, de vari canti con diversi suoni. E nello scoprire, la gran moltitudine de populi ehe qui vi
concorrono immediate si gittanno a terra quella adorando e pregando per cui tale pittura, e
figurata, de l’aquisto della perduta sanita e della etterna salute, non altra mente ehe se tale Iddea
fusse li presente in vitta.1
Eindrucksvoll beschreibt Leonardo die Wirkungsmechanismen, die religiöse Bilder im früh-
neuzeitlichen Kontext hervorlocken können, auch wenn er selbst geneigt ist, dies den Fähigkei-
ten des Malers zuzuschreiben: Beim Enthüllen des Gemäldes wirft sich das »irrationale« Volk,
das durch das liturgische Geschehen auf diesen Moment hingeführt wurde, auf den Boden und
betet das Heiligenbild an, dessen lebensvolle Gegenwart für die Menschen bestimmend konkret
erfahrbar wird. Für Leonardo ist es allein die Potenz der Malerei, die die virtus der Gottheit
abbilden kann: »Certo tu confessarai essere tale simulacro, il quäle far non pö tutte le scritture
ehe figurar pottessino in effiggia, e in virtu tale Iddea.«2
Farago 1992, 1. Teil, Kapitel 8, S. 188.
2 Farago 1992, 1. Teil, Kapitel 8, S. 188.
IV. Funktion und religiöse »Wirksamkeit« -
Techniken und Wege
Die Entscheidung von Seiten des Auftraggebers, als zentrales Kultbild eine Skulptur in ein ge-
maltes Altarbild stellen zu lassen, dürfte nicht aus ästhetischen Erwägungen allein gefallen sein.
Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Einbindung der Bilder in die Liturgie sowie ihrem
paraliturgischen Gebrauch zentrale Bedeutung zukam.
Als unbeirrbarer Verfechter der Malerei als einer wissenschaftlichen Disziplin ist Leonardo
als Kronzeuge anzuführen, wenn es um die »Macht der Bilder« im Zusammenhang mit dem
Vollzug liturgischer Feierlichkeiten geht:
Hör non si vede le pitture rapressentatrici delle divine deita essere al continuo tenute coperte
con copriture di grandissimi prezzi, e quando si scoprano prima si fa grande solennita eclesia-
stiche, de vari canti con diversi suoni. E nello scoprire, la gran moltitudine de populi ehe qui vi
concorrono immediate si gittanno a terra quella adorando e pregando per cui tale pittura, e
figurata, de l’aquisto della perduta sanita e della etterna salute, non altra mente ehe se tale Iddea
fusse li presente in vitta.1
Eindrucksvoll beschreibt Leonardo die Wirkungsmechanismen, die religiöse Bilder im früh-
neuzeitlichen Kontext hervorlocken können, auch wenn er selbst geneigt ist, dies den Fähigkei-
ten des Malers zuzuschreiben: Beim Enthüllen des Gemäldes wirft sich das »irrationale« Volk,
das durch das liturgische Geschehen auf diesen Moment hingeführt wurde, auf den Boden und
betet das Heiligenbild an, dessen lebensvolle Gegenwart für die Menschen bestimmend konkret
erfahrbar wird. Für Leonardo ist es allein die Potenz der Malerei, die die virtus der Gottheit
abbilden kann: »Certo tu confessarai essere tale simulacro, il quäle far non pö tutte le scritture
ehe figurar pottessino in effiggia, e in virtu tale Iddea.«2
Farago 1992, 1. Teil, Kapitel 8, S. 188.
2 Farago 1992, 1. Teil, Kapitel 8, S. 188.