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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0011
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Einführung

DES DEUTSCHEN BEARBEITERS

Clement A. Wertheim Aymes ist Holländer. Die Aufgabe des
deutschen Bearbeiters bestand in der sprachlichen und forma-
len Gestaltung des Textes für die Publikation.

»Was bedeutet das alles?« So hört man es immer wieder ganz
spontan vor dem »Garten der Lüste« und manchem anderen
Werk des Hieronymus Bosch.

Die Frage ist vollkommen berechtigt. Wer ahnt, daß diesen
Gemälden bestimmte Bedeutungen zu Grunde liegen, wird
unwillkürlich weiterfragen: »Ist es möglich, Bosch’s Bilder-
sprache aufzuschlüsseln?«

Ja — wenn man die Zusammenhänge kennt, in denen der
Mensch und der Künstler Bosch verwurzelt war. Der Weg zum
Verständnis seiner Bildersprache, den dieses Buch zeigen will,
ist der Weg in die Ideenwelt, aus der Hieronymus Bosch schöpf-
te und gestaltete.

Die Arbeit von Clement A. Wertheim Aymes geht von dem
Triptychon »Der Garten der Lüste« aus. Dabei werden ver-
schiedene andere Werke Bosch’s zum Vergleich und zur Prüfung
herangezogen.

»Der Garten der Lüste« dürfte etwa um das Jahr ijoo ge-
malt worden sein. Er ist, wie alle Gemälde Bosch’s, nicht da-
tiert. Das Triptychon zeigt den souveränen Duktus des Bosch’-
schen Spätstiles, jedoch war das Entstehungsjahr bisher nicht
mit Sicherheit zu ermitteln.

Die Übersetzung* des holländischen »De tuin der lüsten« ist
nicht der einzige Name des Gemäldes. Die Vielzahl der anderen
Bezeichnungen erklärt sich zunächst daraus, daß ein authen-
tischer Titel von seiten des Malers oder des Auftraggebers nicht
überliefert wurde. Die eigentliche Ursache ist jedoch in der
ungewöhnlich schwierigen Ausdeutung des Triptychons zu
suchen.

Verwirrender noch als die Anzahl der Bildtitel wirkt ihre
Verschiedenartigkeit, wie sie die folgenden Beispiele erkennen
lassen: »Gemälde von der Vielfalt der Welt« (Überweisungs-
urkunde für den Escorial, 15-93), »Von der Eitelkeit des Ruhms
und dem kurzwährenden Geschmack der Erdbeere« (Pater
Siguenza, 160^), »Der Garten der Wonnen oder das Gemälde
vom Erdbeerbaum« (Prado-Katalog), »Garten der Sinnesfreu-
den«, »Die Schule der Engelsliebe«, »Das tausendjährige Reich«
(Fraenger, 1947) und — um den jüngsten Vorschlag zu nennen -
»Das gewonnene Paradies« (Hans Rothe, 1955).

Die Ursache dafür ist, daß mit jeder Namensgebung der Bild-
inhalt meist unter einem bestimmten Aspekt gesehen wurde.
Die Panorama-artige Weite, der überquellende Reichtum und
insbesondere die symptomatische Doppelschichtigkeit der Bil-
derwelt von Hieronymus Bosch bringen es mit sich, daß die
Interpretation seiner Werke in einem hohen Maße von dem
Einfühlungsvermögen und dem Bewußtsein des betreffenden
Betrachters bestimmt wird. Natürlich hat es nicht an Kritikern
gefehlt, die in den zahlreichen und sich regelrecht wider-
sprechenden Deutungen einen Beweis dafür sehen wollten, daß
Bosch konkrete Sinngehalte gar nicht ins Auge gefaßt habe.
Doch läßt sich diese Auffassung heute nicht mehr aufrechter-

halten, seitdem Wilhelm Fraenger die essentielle Verflechtung
der Bosch’schen Bildideen mit den für uns äußerst schwer zu-
gänglichen geistesgeschichtlichen Besonderheiten des 1 j. Jahr-
hunderts aufgezeigt hat.

Damit sind praktisch die Rückzüge auf den rein ästhetischen
Bildgenuß oder die interpretationslose kunsthistorische Klassi-
fizierung, wie sie als Lösung des Bosch-Problems versucht wur-
den, heute nicht mehr statthaft. Selbstverständlich soll hier
nicht der vordergründigen und amusischen Intellektualität das
Wort geredet werden, die lediglich nach der »Bedeutung« fragt,
ohne auf den tieferen Sinn des Ganzen einzugehen. Doch können
wir unmöglich die Augen vor der Tatsiche verschließen, daß
Bosch’s Gemälde eine rahmenfüllende Mitteilungsgabe und eine
große Vorliebe für das didaktische Element zeigen. Und der
Sinn der mitgeteilten Lehren ist das, was uns hier interessiert.

Wenn die neuere Kunstgeschichte in Hieronymus Bosch den
Hauptmeister der niederländischen Frührenaissance und den Be-
gründer der Genre-Malerei sieht, dann ergibt sich schon daraus
die Nötigung, dem Sinn und den Hintergründen der Bild-Inhal-
te unbeirrbar nachzuforschen. Zudem zeigt es sich immer deut-
licher, daß Bosch gerade in der Konzeption seiner Themen eine
prototypische Imaginationskraft bewiesen hat, die an kultur-
geschichtlicher Bedeutung seine rein künstlerische Leistung
noch zu übertreffen scheint.

Fraengers Forschungsprinzip, die für Bosch’s Bilderschaffen
maßgebende Geisteshaltung aus den Voraussetzungen seiner
Zeit und seiner persönlichen Umwelt zu rekonstruieren, hat
sich als eine fruchtbare Methode erwiesen. In seiner 1947 er-
schienenen Monographie über »Das tausendjährige Reich«, wie
das Triptychon von ihm benannt wurde, schreibt Wilhelm
Fraenger:

»Es ging dem Maler in der Kunstgeschichte, wie es der seinem
Schaffen nah verwandten Alchemie in der Kulturgeschichte lang
genug ergangen war. Diese Arkanlehre ist in der älteren Litera-
tur meist nur als »schwarze Kunst«, das heißt - nach landläufi-
gem Mißverständnis - als okkultistische Geheimniskrämerei be-
handelt worden. Dann kam der wissenschaftliche Positivismus
und klärte ihr schwarmgeistiges Gebrodel zu den rationellen
Elementen ab, aus denen sie entwicklungstheoretisch zu einer
Vorstufe neuzeitlicher Chemie zurechtgeschnitten werden konn-
te. Erst neuerdings ging man auf ihre eigenen Denkvoraussetz-
ungen ein und ließ die Alchemie als das erscheinen, was sie
wirklich ist: als eine angestrebte summa perfectionis, die in der
Transmutation der Stoffe ein Symbol des inneren Menschen und
der Geheimnisse von Zeugung, Tod und ewigem Leben sah.«

Fraenger erklärt das mangelnde Verständnis für die »spiritua-
listische Symbolik« bei Bosch aus den Denkgepflogenheiten des
»realistischen Positivismus« und fährt fort:

»Trotz der von souveräner Kennerschaft und akademischer
Erudition diktierten Darstellungen, die Max J. Friedländer
(1927) und Charles de Tolnay (1937) seiner Kunst gewidmet
haben, denen Ludwig von Baldass (1944) mit seiner Synthesis
des heutigen Wissens- und Nichtwissensstandes folgte, ist die von
der Geschichtsschreibung der Alchemie bereits erreichte dritte

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