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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0026
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3

DER RECHTE FLÜGEL

Das Purgatorium

Wir beginnen bei der Betrachtung unseres Tripty-
chons mit dem rechten Flügel. Die Eindringlichkeit
seines Szenariums wird am ehesten ein Verständnis der
Bildersprache des Hieronymus Bosch vermitteln.

Jedoch müssen wir einiges vorausschicken. Das
Purgatorium oder Fegefeuer ist nicht wie die Hölle
Ort der ewigen Verdammnis. Vielmehr vollzieht sich
hier die nach dem Tode von jeder Seele zu absolvieren-
de Läuterung. Das Purgatorium (nach orientalischer
Tradition auch das Kamaloka genannt) bildet gleichsam
die unterste Sphäre der jenseitigen Welt. Neben den
Vorstellungen, die in der Vergangenheit in der großen
Masse der christlichen Gläubigen lebendig waren,
existierten von jeher nähere Angaben in den esote-
rischen Kreisen. Die ältesten unsbekannten schriftlichen
Äußerungen dieser Art enthalten die ägyptischen
Totenbücher. Im Verfolg dieser Arbeit wird immer
deutlicher werden, daß Bosch nicht subjektive Phan-
tasien wiedergibt, sondern in Übereinstimmung mit
zeitgenössischen Geheimlehren malt. Einblicke in die
Welt jener Lehren hat Rudolf Steiner u.a. mit seinen
Vorträgen über »Die Theosophie des Rosenkreuzers«11
gegeben. Wir werden auf seine Darstellungen bei den
Erläuterungen des rosenkreuzerischen Weltbildes
zurückgreifen.

Im Purgatorium durchlebt der Mensch zunächst
noch einmal die Geschehnisse des Erdenlebens. Je-
doch schaut er jetzt seine Taten nicht von innen,
sondern von außen. Er wird zum objektiven und
gnadenlos scharfen Beobachter seiner selbst. Und zwar
in der Weise, daß er alles Leid, und auch alle Freude,
die er seinen Mitmenschen bereitete, nun selber
erfährt.

Es ist eine weitere Eigentümlichkeit des Kamaloka-
Daseins, daß die Reihe der Erlebnisse rückwärts
abläuft, von der Todesstunde zurück zur Geburt. Ist
dieser Weg durchschritten und der Lebensbeginn er-
reicht, so fällt wie ein Schatten die von Sympathien
und Antipathien, von Trieben und Leidenschaften
durchsetzte Seelenhülle ab. Nur derjenige Teil der
Seele, der vom »Ich« durchgestaltet wurde, verbindet
sich diesem für die künftige Wanderung. Der vom Ich
umgestaltete Wesensteil gesellt sich zum »Kausalleib«,
d.h. zu der Essenz des vergangenen Lebens, die wie ein
ätherischer Extrakt aus dem »Lebenstableau« dem
Menschen nie mehr verloren geht. (Vgl. Die Theo-

sophie des Rosenkreuzers). Wir werden später sehen, wie
anschaulich Bosch das Abfallen jener Seelenhülle im
Purgatorium und den Kausalleib auf der Mitteltafel
dargestellt hat.

Man würde Hieronymus Bosch und seine Zeit gänzlich
mißverstehen, wenn man die Schlichtheit der Darstel-
lung für Primitivität halten wollte. Es ist verhältnis-
mäßig unverbindlich, über Teufel und Dämonen in
abstrakten Begriffen zu sprechen. Erscheinen sie aber
im Bilde, dann regt sich rasch der Widerwille im Be-
trachter. Doch kommt es gerade darauf an, dem Bö-
sen ins Auge zu sehen; dann schwindet der Teufels-
spuk, weil er nur in der vom höheren Ich nicht erhell-
ten Finsternis vegetieren kann. Die Teufel und
Teufelchen wurden von Bosch zu keinem anderen
Zwecke gemalt, als daß der Mensch die verschiedenen
Aspekte des Bösen durchschauen lernt.

Doch jetzt zur Purgatorium-Tafel selber. Fast in der
Mitte steht ein »Baummensch« (Farbtafel I). Die
nachstehende Handzeichnung Bosch’s in Abb. 8 läßt
sein kompositorisches Gefüge noch besser hervortre-
ten. Das kreisende Zahnrad, das dort den Kopf be-
deckt, wird auf dem Gemälde umgeformt zu einem
»Mühlstein«, der das verbildlichen soll, was im Kopf
des Menschen herumgeht. Arme und Beine des Baum-
menschen sind zusammengewachsen und verholzt;
abgestorben wie tote Äste. Seine Füße sind Kähne,
sein Leib gleicht einem zerbrochenen Krug. Nur das
Antlitz ist normal menschlich, die Augen blicken
scharf und kritisch, der Gesichtsausdruck wirkt in-
nerlich unbewegt. Man spürt die Haltung eines ty-
pischen Vertreters der Neuzeit mit der Tendenz zur
Bewußtseinskühle. Die Rosenkreuzer wußten um die
seelisch-leiblichen Folgen des Bewußtseinswandels,
der sich damals mit dem Abklingen der mittelalter-
lichen Seelenhaftigkeit anbahnte. Früher hatte die
Glut des Herzens alle Handlungen des Menschen
durchwärmt und seinen Organismus durchpulst. Jetzt,
da das kalte Verstandes-Bewußtsein anfängt, die Glieder
zu durchdringen, erscheinen diese erstarrt: so stellt
es sich in der Rückschau dem Verstorbenen im Kama-
loka dar. Die Beine, mit denen er zielbewußt aus-
schreiten, und die Arme, mit denen er sinnvolle Ar-
beit leisten sollte, scheinen verholzt. Statt der Füße, die
ihn zu bestimmten, die sein Ich ihm setzte, Zielen tragen
 
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