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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0100
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DIE AUSSENSEITEN

»Die Erschaffung der Welt«

Die Außenseite des Triptychons »Der Garten der
himmlischen Freuden« zeigt auf den Rückseiten der
Seitenflügel »Die Erschaffung der Welt« (S. 16). In
einer durchsichtigen Weltkugel schwebt die Erde als
eine kreisrunde Scheibe zwischen der »Tiefe« und
einem von dramatischen Wolkenbildungen überzoge-
nen Elimmel. In der linken oberen Ecke der Tafel -
außerhalb der Weltkugel — erscheint in einem kleinen
Medaillon Gottvater. Am oberen Rande der beiden
Tafeln ist in gotischen Lettern zu lesen : Ipse dixit et facta
sunt (Er sprach und es geschah: Ps. 39) und Ipse man-
davit et creata sunt (Er gebot und es stand da: Ps. 148).

Es ist der dritte Schöpfungstag der Genesis, den
Bosch hier darstellt, jener Äon, mit dem in der Ur-
schöpfung das Pflanzenreich veranlagt wurde. »Und
Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut,
das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jegli-
cher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen
eigenen Samen bei sich selbst auf Erden« (I. Moses, 1,
11). Das ganze Erdenrund ist überzogen von aufstre-
benden, sprossenden Pflanzenbildungen. Man sieht
vertraute Baumformen und Gebüschgruppen, dazwi-
schen aber auch manche Phantasieschöpfung. Insbe-
sondere im Vordergrund sind die pflanzlichen Formen
eng verschlungen mit bizarren Felsen, deren Gestal-
tung an die Planeten-Berge der Mitteltafel erinnert.

Ein Baum auf der linken Tafel vorn entfaltet sich un-
mittelbar aus einem der Planeten-Sphäre verwandten
Gebilde, dessen Fuß vom Okeanos, dem Himmels-
strom, umspült wird. Bosch hatte damit auf jene Phase
der EIrschöpfung hinweisen wollen, da sich aus den
(Pflanzen)-EIrbildern der himmlischen Sphären die ir-
disch-materielle Erscheinungsform der Pflanzenwelt
elementar zu entwickeln begann. Die von Jacob von
Almaengien empfangenen Lehren enthielten eine Kos-
mogonie, in der für die einzelnen Schöpfungsphasen
anschauliche Bilder entwickelt waren.

Mit der Außenseite des Triptychons erklingt das
Praeludium des ganzen Altars, der vom Thema des
Werdens und der Entwicklung erfüllt ist. Auf der
Außenseite deutet Bosch auf den geistigen Ursprung der
Erde; mit den drei Innen-Tafeln rührt er an die Ge-
heimnisse der realen Geistes-Wege des Menschen und
der Menschheit.

Vieles mußte unbesprochen bleiben, vieles wird
noch zu entdecken sein. Der Schlüssel, der uns einen
Zugang zur Bilderwelt Bosch’s ermöglichte und ihren
spirituellen Wirklichkeitscharakter erkennen ließ,
wird — konsequent angewandt — noch weitere Regio-
nen des schier unausschreitbaren Reiches erschließen,
das Hieronymus Bosch mit dem Triptychon »Der Gar-
ten der himmlischen Freuden« schuf.

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