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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0024
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2

DAS TRIPTYCHON

»Der Garten der himmlischen Freuden«

ÜBERSICHT

Der linke Flügel des Triptychons zeigt das Bild des
Menschen im Unschuldsstande der Schöpfungstage in
der väterlichen Nähe Gottes. Der rechte Flügel schil-
dert die gefallene Menschennatur, wie sie sich in
unseren Zeitläuften dem Blick des Sehers darstellt.
Zwischen diesen beiden Polen berichtet die Mittelta-
fel von den Wegen der Menschenseelen durch die
geistige Welt des nachtodlichen Daseins.

Auf der linken Tafel wird das Thema durch die
Gestalten Jehovas und des ersten Menschenpaares
Adam und Eva bestimmt, auf der rechten durch die
düstere Szenerie eines Purgatoriums mit der auf hohem
Gestühl thronenden Figur des Teufels (rechts unten).
Der Grundgedanke der Mitteltafel ist mit dem vorne,
nahe dem unteren Bildrande liegenden großen
Fisch gegeben. Der Fisch, das aus den Katakom-
ben bekannte Christus-Symbol des Urchristentums,
weist auf das ewige Leben, auf ein Leben in der
Ewigkeit.9

Die stark aufsichtige Landschaft der Mitteltafel ist
deutlich in drei hintereinander liegende Bezirke geglie-
dert. Das vordere Drittel wird begrenzt von einer
quer durch das Bild schwingenden dunkelgrünen
Hecke, die sich nach links über den Rahmen hinweg
in die Paradies-Szene des Seitenflügels fortsetzt.
In diesem Bereich des Vordergrundes vollzieht sich
die Ankunft der Seelen in der geistigen Welt. Der
hinter der Hecke beginnende gelbliche bis hellgrüne
Mittelgrund mit dem runden, von einem Reiterzug
umkreisten Gewässer symbolisiert die Regionen der
Sonne und des Tierkreises. Das letzte Drittel, der Hin-
tergrund mit den fünf steil aufstrebenden Gebilden,
in deren Struktur sich mineralische, vegetative und
architektonische Elemente zu einer jeweils charakte-
ristischen Gesamtform verbinden, veranschaulicht die
Sphären der fünf Planeten: Merkur, Venus, Saturn,
Jupiter und Mars. In allen drei Bereichen erscheint der
nackte Mensch. Auch diese Nacktheit hat — folgerichtig
— ihre innere Bedeutung. Wie so oft, verfährt Bosch
mit frappierender Wörtlichkeit: die hüllenlose

menschliche Entität, d.b. das des Leibes und des Le-
bens entkleidete Ich, wird als unbekleidete Gestalt
zur bildlichen Darstellung gebracht. So ist mit der
unverhüllten Gestalt der ewige Wesenskern des
Menschen gemeint.

Die Dämonen dagegen, die das Purgatorium der rech-
ten Tafel bevölkern, sind bekleidet. Auch die Gestalt
Jehovas auf der Paradies-Tafel links trägt eine Hülle,
ein langwallendes pfirsichblütfarbenes Gewand. Wie
schon gesagt, erscheinen alle Menschen, und eben
nur sie, nackt. Mit einer einzigen Ausnahme: in der
rechten unteren Ecke der Mitteltafel jener ernste,
aus einer Höhle aufschauende Mann, dessen rechte
Hand auf die weibliche Gestalt tvor ihm weist und
dessen Auge sich so eindringlich dem Bildbetrachter
zuwendet. In der Logik der Bildsprache des Tripty-
chons heißt das, daß dieser eine, mit der üblichen
Gewandung bekleidete Mann noch im Leibe lebt,
daß er noch der Erdenwelt angehört.

Auf das eigenartig Lichte und Zarte in der farbigen
Gestaltung der Mitteltafel ist von der Kunstwissen-
schaft wiederholt aufmerksam gemacht worden. Max
J. Friedländer schrieb 1927 (in Die Altniederländische
Malerei) :

»Das Beieinander wirkt nicht, wie nach dem Be-
richt zu erwarten wäre, orgiastisch oder erotisch.
Schon deshalb nicht, weil die Leiber astralhaft sind,
dann, weil sie durch höhere Gewalt gelenkt werden,
zum Dritten, weil die rebushafte Seltsamkeit des
Ganzen über die gemeine Realität hinausdringt. . . «

Die Mitteltafel weist fast keine Schatten auf. Nur
hier und da werden etwas dunklere Töne gesetzt, um
eine Figur oder einen Gegenstand durch Kontrast-
wirkung stärker hervorzuheben. Dieses äußerlich un-
motivierte Fehlen der Schatten ist als ein künstleri-
scher Hinweis auf die Lichtnatur der geistigen Welt zu
verstehen, in der weder materielle Gegenstände noch
Leiber aus Fleisch und Blut existieren. Weil das Men-
schenwesen sich hier bereits der leiblichen und trü-
benden seelischen Hüllen entledigt hat, können Freund-
schaft und Liebe jetzt in voller Reinheit erblühen. Ein
Seelenleben, das noch mit Egoismus oder Sexualität
durchsetzt ist, hat auf dieser Ebene keinen Platz, und
man sollte auch nicht dergleichen hineininterpretieren.

Die Szenen der Mitteltafel verstehen sich aus der
Absicht des Malers, die Früchte des Erdenlebens in
den nachtodlichen Seins-Zuständen höchst ausdrucks-
voll zur Anschauung zu bringen.

Wiederum müssen wir Bosch wörtlich nehmen.

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