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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0101
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7

ANHANG

Parallelen und Einzelmotive

Wir hatten bei der Betrachtung des »Garten der
himmlischen Feuden« bereits einige Parallel-Motive
in anderen Bildern Bosch’s zum Vergleich heran-
gezogen.

Diese Vergleiche sollen mit nachstehenden Hin-
weisen, die im Rahmen dieser Arbeit nur sehr kurzge-

DAS HEUWAGE

Der Heuwagen in der Mitte der Mitteltafel, der dem
Triptychon (Abb. ^8) den Namen gab, repräsentiert
das dominierende Symbol des Werkes. Das Thema
des Bildes ist durch die anschauliche Turbulenz der
Szenerie augenfällig und bedarf kaum der Erläuterung.
Warum aber mußte sich alles Geschehen um einen
Heuwagen gruppieren? Schon eine der frühesten Deu-
tungen wollte ihn als eine Anspielung auf die Worte
des Propheten Jesaja (Jes. 40, 6 und 7) verstanden
wissen: »Alles Fleisch ist Gras. . .« und »Das Gras
verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Geist
bläst darein. Ja, das Volk ist das Gras.«

Daß Heu, also abgeschnittenes, verdorrtes Gras, ein
eindringliches Bild für die Vergänglichkeit alles Irdi-
schen ist, leuchtet unmittelbar ein. Doch ist die Aussage
des Bildes hier noch bestimmter und konkreter zu
nehmen. Bosch wollte nicht nur von der Vergänglich-
keit, sondern zugleich auch von ihren spirituellen Ur-
sachen sprechen.

Bei der Besprechung des Vordergrundes der Mittel-
tafel des »Garten der himmlischen Freuden« machten
wir darauf aufmerksam, daß dem Worte »Gras« in den
Evangelien ein symbolischer Bildwert innewohnt, daß
»Gras« in den biblischen Berichten über die Spei-
sungswunder auf das Walten starker ätherischer Le-
benskräfte hinweist. Auch Goethe bedient sich in der
Faust-Dichtung der gleichen Bildersprache. Szenische
Angaben wie Gras, Rasen oder Laub, z.B. in der Ariel-
Szene sagen ganz allgemein, daß die Handlung nicht
auf dem physischen, sondern auf dem ätherischen Plan
spielt.

Dieser spezifische Bildcharakter gilt auch für das
»Heu«, d.h. das verdorrte »Gras« auf unserem Tripty-
chon. Das Heu ist Symbol für eine Welt und eine
Menschheit, deren (ätherische) Lebenskräfte von
ihrem geistigen Ursprungsort »abgeschnitten« sind
und der Verdorrung anheimfallen. Der »Heuwagen«

faßt sein können, erweitert werden, um zu unter-
streichen, wie konsequent Hieronymus Bosch seine
Bildersprache im Gesamtwerk beibehalten hat. Gleich-
zeitig werden diese Vergleiche dazu dienen, unsere
Interpretationen des »Garten der himmlischen Lreu-
den« abschließend noch einmal zu überprüfen.

N-TRIPTYCHON

symbolisiert buchstäblich »das Leben« im allgemeinen
Verstände des Wortes: als das Treiben, wie es aus den
Sitten und Gewohnheiten der Menschen resultiert.
Auch darin, zwischen dem von Dämonen gezogenen
Heuwagen und dem üblen Trubel drum herum,
besteht ein konkreter Zusammenhang: denn der

ätherische Leib des Menschen ist der Träger seiner
Gewohnheiten. Die Verdorrungstendenzen im Men-
schen seit dem Sündenfall, mit dem gleichsam die Na-
belschnur zur geistigen Welt zerschnitten wurde, sind
die eigentliche Ursache für den Mißbrauch der Le-
benskräfte zu niederem Tun.

Wie ein Wagen voll Heu ist das Zusammenleben der
Menschen auf der Erde. Wenn es noch harmlos her-
geht, dann sieht es so aus, wie bei der Gruppe oben
(Abb. 5-9), die eine gewisse einfältige Natürlichkeit
zeigt: zärtliches Nebeneinander, Musik (Harmonie)
und Stoffwechsel (der Mann hinter dem Gebüsch). Im
Gegensatz zu der endgültigen Verfallenheit an die
Dämonen im unteren Bereich, befindet man sich hier
noch im Spannungsfeld zwischen Gut und Böse,
zwischen dem Engel und dem Dämon, der zum »Höl-
lentanz« aufspielt. Links über dem Engel hängt ein
Krug an einem Stecken heraus: Bild für die Möglich-
keit der menschlichen Seele, zum Gefäß aus dem Him-
melshöhen herab tauender Substanz zu werden. Auf
der rechten Seite sitzt auf hervorspringendem kahlen
Ast eine Eule: ihr Platz über dem Dämon deutet an,
nach wessen Pfeife derjenige zu tanzen anfängt, dessen
Seele sich bedingungslos dem Erdeninteresse über-
läßt. Das üppige Grün des Gebüschs - so scheinbar im
Hintergrund, aber szenisch mit dem Heuwagen fest
verbunden — erscheint hier zwischen dem Christus in
der Wolke und den Vorgängen im Vordergrund als
Bild dafür, daß das Geschehen oben auf dem Heu-
wagen noch von lebendigen Kräften getragen ist.

Mit der ihm eigentümlichen schonungslosen Bild-

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