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Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0025
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Unzählige Male, ja in unübersehbarer Häufigkeit taucht
auf der Mitteltafel das Motiv der Frucht auf, und zwar
in der verschiedenartigsten Gestalt: als Erdbeere,
Brombeere, Kirsche, Mispel, Blaubeere, Weinrebe
usw. Dieses stete Erscheinen der Früchte bildet tat-
sächlich das Leitmotiv auf der Mitteltafel. Der ein-
gangs erwähnte Name im alten Prado-Katalog Das
Gemälde vom Erdbeerbaum läßt erkennen, daß ältere
Betrachter das gespürt haben. Auch Fra Siguenza, der
das Triptychon einmal (i6oy) kurzweg »Die Erd-
beere« oder »Das Obststück« nannte, hat die dominie-
rende Rolle des Frucht-Motivs empfunden. Doch kam
er nicht auf den Gedanken, die gemalte Frucht mit der
Metapher »Frucht« in der Bedeutung von Lebens-
früchten in Verbindung zu bringen. Das darf hier
aber für die Bild-Welt des Triptychons geschehen, und
zwar im Sinne des Wortes aus dem Johannes-Evange-
lium: »Ich bin der rechte Weinstock und mein Vater
der Weingärtner. Eine jegliche Rebe an mir, die nicht
Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jegliche,
die da Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr
Frucht bringt.« (Joh. iy, 1—2).

Daß der Mensch die Früchte seines Erdenlebens über
die Todesschwelle hinaus mitnimmt, daß die »Frucht«
mit dem unsterblichen Ich verbunden bleibt und
nachtodlichen Prüfungen unterworfen wird, ist die
Überzeugung aller christlichen Esoteriker. Mit dem
dominierenden Fruchtmotiv hat sich Bosch zu der
für die Rosenkreuzer bezeichnenden Entelechie-Idee
bekannt, d.h. zu der Auffassung, daß dem innersten
Menschenwesen der Wille und die Kraft zur Ver-
wirklichung eines von der göttlichen Welt gesetzten
Zieles eingesenkt ist.

Als Endziel galt es den christlichen Strebenden zu
allen Zeiten, ein Christophorus zu werden. Das Men-
schen-Ich sollte zum Träger des Christus-Wesens be-
reitet werden. Solche fundamentalen Forderungen der
Christologie waren Bosch natürlich vertraut. Man
wird Bosch’s Triptychon »Der Garten der himmlischen
Freuden« nur wirklich verstehen und würdigen kön-
nen, wenn der religiöse Denker Bosch erkannt sein
wird. Es könnte ein Blick auf das in seiner Art beispiel-
lose Christus-Antlitz der Londoner »Dornenkrönung«
genügen, um die Intensität und Tiefe seiner — gänzlich
unsentimentalen — Religiosität zu ahnen. Sie durch-
dringt, wie könnte es anders sein, als Ferment einer
seelischen Erfahrung, alle Arbeiten des Malers, von

dem Ludwig von Baldass in seinem zusammenfassenden
Bosch-Werk10 sagt:

»Die Kunst des Hieronymus Bosch ist angefüllt
mit religiösen Symbolen. Wir dürfen aber nicht außer
acht lassen, daß hinter diesen Symbolen tiefe mensch-
liche Weisheiten ruhen. Brueghel hat diese Weisheiten
satirisch gedeutet. Wir finden bei ihm nicht jene
Philosophie des Duldens, die aus so vielen Schöpfungen
des Hieronymus Bosch spricht. Vereinzelte Figuren
des ’s-Hertogenboscher Meisters, sein guter Schächer
der Wiener Kreuztragung, sein Hieronymus des
Genter Bildes, sein Christus der Dornenkrönung im
Eskurial oder der Kreuztragung in Gent, sein trunke-
ner Eusebius des Julienaltares, sein ohnmächtiger
Antonius auf dem linken Flügel des Lissaboner Altares
zeigen eine so einfache und eindringliche und gleich-
zeitig so verinnerlichte Kraft des Ausdrucks, wie wir
sie, freilich in ganz anderer Form, erst bei Rem-
brandt wiederfinden. . . Gemeinsam ist beiden Künst-
lern jedenfalls der Ernst, mit dem sich ihnen eine
menschliche Wahrheit offenbart, und die Schlicht-
heit, mit der sie diese Offenbarung zum Ausdruck
bringen.«

Die Religiosität des Mittelalters, an dessen Ausgang
das Lebenswerk Bosch’s steht, hat mit dem ikono-
graphisch festgelegten — wenn auch hundertfältig
variierten — Bildtypus des Jüngsten Gerichtes die mar-
kanteste Aussage aus dem Bereich des nachtodlichen
Lebens geschaffen. Dabei wurde vom mittelalterlichen
Künstler nur das zur malerischen oder plastischen
Anschauung gebracht, was die kirchlichen Lehren bis

Tradition vorgeprägt hatte (z.B. die Heimkehr der Se-
ligen in Abrahams Schoß oder die Höllen-Qualen der
Verdammten). Bosch hat mit seinem »Jüngsten Ge-
richt« (Wien) an die Form der Vergangenheit ange-
knüpft. Seine Schilderungen nachtodlicher Schicksals-
abläufe gehören in die christliche Tradition. Doch
das erregend Neue bei ihm ist, daß er jetzt unmittel-
bare Imaginationen malt, wie sie ihm aus eigener See-
lenkraft oder durch die Hilfen des Hochmeisters Ja-
cob von Almaengien zuströmten. Unseres Wissens
hat bisher noch niemand darauf aufmerksam gemacht,
daß Bosch auch auf der Mitteltafel des »Garten der
himmlischen Freuden« den kühnen Versuch unter-
nahm , Szenen des Jenseits zu malen.

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