Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wertheim Aymès, Clément Antoine; Bosch, Hieronymus
Hieronymus Bosch: eine Einführung in seine geheime Symbolik ; dargestellt am "Garten der himmlischen Freuden", am Heuwagen-Triptychon, am Lissaboner Altar und an Motiven aus anderen Werken — Berlin, 1957

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29111#0019
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nicht zu erwarten, das widerspräche dem Wesen der
Sache. Doch kann man in verschiedenen Urkunden
wichtige Anhaltspunkte für die Richtigkeit unserer
Annahme finden.

Hieronymus Bosch war Mitglied der »Bruderschaft
Unserer Lieben Frau«. Es war dies eine um 1318 von
Gerrit van Uden gegründete Gesellschaft von Adligen,
Geistlichen und Patriziern, die sich charitativen und
volkserzieherischen Aufgaben widmete.

Die äußere Tätigkeit der Liebfrauen-Brüderschaft
wurde jedoch beeinflußt von den Idealen der seit 1423
in ’s-Hertogenbosch ansässigen »Brüder vom gemein-
samen Leben«, den Anhängern Geert Grootes. Diese
letztere Brüderschaft verfügte schon 1436 über einen
beträchtlichen Grundbesitz. Genannt wurden sie die
»Hieronymianen«. (Desiderius Erasmus von Rotter-
dam wohnte von 1484—1487 zu ’s-Hertogenbosch im
Stift dieser Brüderschaft.) Es liegt die Vermutung
nahe, daß sich Bosch’s Vorname aus einer Verbindung
seines Elternhauses mit den Hieronymianen herleitet,
denn der Name Hieronymus war dazumal in den
Niederlanden nicht üblich.

Verbürgt ist, daß Bosch der Liebfrauen-Brüder-
schaft bald nach 1480 beitrat und ihr bis zu seinem
Tode im Jahre 1516 angehörte. Nach einjähriger Mit-
gliedschaft wurde er als »Maler Jeroen« zum »Schwa-
nenritter« ernannt. Die Gesellschaft übte den Brauch,
jährlich einmal ein Schwanen-Mahl zu halten. Eine
Erläuterung dieses Brauches, einmal im Jahre vom
Fleisch des der Vorzeit heiligen weißen Seelenvogels
zu essen, würde hier zu weit führen; wir verweisen
nur darauf, daß auf Bosch’s »Hochzeit zu Kana« ein
Schwanen- (und Wildschwein-) Mahl geschildert wird.
Dabei sei erwähnt, daß der Wappenspruch der Brüder-
schaft »Sicut lilium inter spinas« im »Garten der
himmlischen Freuden« in den Symbolen der Lilien und
der Dornen auftaucht.

Auch der Statthalter Prinz Willem von Oranien
(f 1384) war Mitglied der Liebfrauen-Brüderschaft
und hat der Tafelrunde der Schwanenritter beige-
wohnt. Noch heute gehören die Prinzen von Oranien
der Gesellschaft der Schwanenritter an, und in der
jüngsten Vergangenheit nahmen die Prinzessinnen
Beatrix und Irene, dem alten Brauche huldigend, an
einem Schwanen-Mahl in Den Bosch teil.

Wir haben verschiedene Gründe für die Annahme,
daß innerhalb der Liebfrauen-Brüderschaft ein kleiner
interner Kreis rosenkreuzerisch eingestellt war. Bosch’s
Haus am Marktplatz hieß ursprünglich St. Antonis,
später wurde es umgetauft in »Den Roosenkrans«. Ein
Rosenkranz kommt auch vor auf zwei 1312 von Bosch
gemalten Tafeln mit Maria und Johannes. Neben dem
Haupt der Maria befindet sich ein Turm, von einem
Kranz von Rosen umgeben. (Der Turm war damals für
die Kirche zwar entworfen, wurde jedoch niemals

gebaut.) Diese beiden Tafeln, die Mosmans aufgefun-
den hat, waren stark beschädigt. Leider wurde die
Restaurierung nicht ganz einwandfrei ausgeführt, denn
das Sternchen (*) und die Buchstaben (H. Rosenkrans)
erscheinen jetzt in moderner Type, was natürlich un-
möglich ist. Wir müssen uns fragen, ob auf dem Origi-
nal das H nicht als ein E oder CH und der Stern als
Kreuz (-j-) zu lesen war. Dann hätten wir hier einen
Hinweis darauf, daß Bosch angeben wollte, daß der
Turm der Kirche von einem Rosenkreuzer-Kreis um-
geben war. Diese Partie des Gemäldes ist gerade-
zu übersät mit Symbolen, zum Teil im winzigsten
Format.

Es könnte überraschen, daß hier schon für die Zeit
des 13. und 16. Jahrhunderts von einer Rosenkreuzer-
Bewegung gesprochen wird, da die Schriften des
protestantischen Theologen Johann Valentin Andreae
erst nach 1600 erschienen waren. (»Fama«i6i4, »Con-
fessio« 1613; »Die Chymische Hochzeit des Christian
Rosenkreuz« wurde 1616 in Straßburg gedruckt, ein
handschriftliches Exemplar ist schon 1603 nachzu-
weisen.) Die Geheimgesellschaften, die sich auf Chri-
stian Rosenkreuz als ihren Stifter beriefen, traten erst
im 17. und 18. Jahrhundert in Erscheinung. Immerhin
hat Andreae für das Leben des über hundertjährigen
Christian Rosenkreuz die Zeit von 1378 bis 1484 an-
gegeben. Das besagt, daß zur Zeit Jacobs von Almaen-
gien und Bosch’s schon eine Rosenkreuz-Schülerschaft
existierte und der Maler etwa im 33. Lebensjahre
stand, als Christian Rosenkreuz starb. Daß von diesem
erst nach mehr als hundert Jahren in der Öffentlichkeit
die Rede war, ist kein Einwand gegen seine historische
Existenz. Ein internes Rosenkreuzer-Gebot bestimmte
ausdrücklich, daß gewisse Ereignisse erst nach hundert
Jahren veröffentlicht werden durften.8

Doch auch Christian Rosenkreuz hat offensichtlich
an eine schon bestehende esoterische Tradition ange-
knüpft, deren Ursprung sich bis zu Paulus, zu Diony-
sius Areopagita und seiner Schwester Damaris zurück-
schrieb. Eine alte Quelle bezeichnet z.B. auch Thomas
a Kempis (1379—1471), den Verfasser der »Nachfolge
Christi«, als Lehrer der Rosenkreuzer-Weisheit.

Es ist hier nicht der Ort, auf die zahlreichen histori-
schen Mißverständnisse einzugehen, denen die Rosen-
kreuzer-Ideale sowohl bei den Anhängern wie bei ihren
Gegnern ausgesetzt waren. Über den Wert einzelner
Persönlichkeiten oder Gesellschaften (die sich am En-
de des 18. Jahrhunderts oft in quacksalbernde Ver-
äußerlichung verloren) ist immer nur von Fall zu Fall
ein Urteil möglich. Das exoterische Ziel der Bewegung
seit dem 17. Jahrhundert - die wirkliche Lehre des
Christian Rosenkreuz war viel tiefer - war die Rück-
führung der Religion zum Urchristentum und der gän-
liche Verzicht auf das Machtprinzip der Kirche auf diesem
 
Annotationen