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Wiegand, Theodor [Hrsg.]
Palmyra - Ergebnisse der Expeditionen von 1902 und 1917 (Text) — Berlin, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.1808#0135
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XV.DAS GROSSE HAUPTHEILIGTUM DES BEL

Im südöstlichsten Teil des durch die innere antike Wehrmauer umhegten Stadtbezirkes von Palmyra erhob sich einst auf hohem,
fast quadratischem Unterbau das gewaltige Hauptheiligtum der Stadt mit seinen hohen Umfassungsmauern als ein riesiger,
vierkantiger und breit gelagerter, allseits geschlossener und zinnenbekrönter Baublock1), mit der Stirnwand nach W 50 S ge-
richtet. In deren Mitte befanden sich die Eingänge; und nur vor ihr - etwa ein Sechstel der Wandlänge einnehmend - sprang
eine nach vorn offene Säulenhalle mit davorliegender breiter Freitreppe aus dem viereckigen Baukörper heraus. Über die Lage
des Tempelbezirkes und dieses seines Torgebäudes zu den Hauptverkehrsadern der Stadt ist folgendes zu bemerken. Wenn
man vom Mittelpunkt der Stadt, der durch ein großes Tetrapylon betonten Kreuzungsstelle des Cardo mit dem Decumanus,
auf letzterem südostwärts schreitet, so gelangt man an einen Knick, der diese Hauptstraße gegen ihre bisherige Richtung um
30° südwärts umlenkt und in dem Straßentore architektonisch ausgestaltet ist. Die neue Richtung der Straße lenkt nun den Blick
genau auf die soeben erwähnte Eingangshalle des Tempelbezirkes hin. Man wird wohl kaum irren, wenn man in diesem Um-
stände die Ursache davon erkennt, daß der Knick gerade in dieser Richtung und das Straßentor gerade an dieser Stelle angeord-
net worden sind. Das über dem Podium gelegene, von den vier Umfassungswänden umschlossene Temenos (Tafel 68) ist allseits
von einer Säulenhalle umrahmt (Querschnitt: Tafel 69 oben, Längsschnitt: ebenda unten) und zu einem sogenannten rhodischen
Peristyl gestaltet, indem die Westseite als die des Eingangs in ihrer ganzen Länge von einer hohen, einschiffigen Stoa einge-
nommen wird, und gegen diese sich eine bedeutend niedrigere, aber zweischiffige Stoa totläuft, welche die drei andern Seiten
des Hofes begleitet. Besonders abgeschlossene Räume sind an den Rückwänden dieser Stoen nicht vorhanden, außer vier fast
gleich großen, von der Stoa aus zugänglichen Räumen zwischen und neben den drei Eingangstüren an der Westseite, von
denen die beiden äußeren als Treppenhäuser zur Besteigung des flachen Daches über der Weststoa dienten. In diesem so
umschlossenen Hofe steht nun der Tempel selbst so, daß seine Längsachse der West- und Osthalle des Hofes gleichgerichtet
ist und er von Westen her in der Mittelachse des ganzen Baukörpers zugänglich ist.

Erst nachdem der Verfall dieser großartigen Anlage begonnen und größeren Umfang angenommen hatte, wurde der Peribolos
in eine arabische Burg verwandelt. Auch sie ist schon wieder verfallen, ihre Überreste aber vermochten die Tudmurer Bauern
noch gegen die Beduinen zu schützen. Auch haben sie in den Tempel eine Moschee hineingebaut und fast den ganzen Peribolos,
Hof und Stoeen mit ihren Lehmhäusern bedeckt. Sonst dehnt sich das Dorf fast nur nach Osten und Südwesten hin, weniger
nach Süden und Norden über die antiken Umfassungsmauern aus. Unsere Tafel 70 zeigt oben den noch unberührten Zu-
stand des Araberdorfes im Oktober 1929, unten den Beginn des Abbruchs der Lehmhäuser durch die französische Mandats-
verwaltung im April 19 30'-).

Wann und für welche Gottheit oder Gottheiten der Tempelbau errichtet wurde, diese Fragen werden zweckmäßig erst nach
der eingehenden Besprechung des Tempels selbst erörtert werden, da sie gewisse Merkmale für ihre Beantwortung ergeben
wird.

1. DER TEMPEL

Was nach den Inschriften und der ganzen Sachlage wahrscheinlich ist, daß der Tempel selbst einer früheren Zeit angehört
als die seinen Bezirk, den Peribolos umgebenden Säulenhallen, wird durch die Architekturformen bestätigt. Er bestand aus
einer langgestreckten Cella und einer diese umgebenden Säulenhalle von 7:14 Jochen, deren Tiefe der doppelten nor-
malen Jochbreite entspricht; er ist also als Pseudodipteros zu bezeichnen (Tafel 71). Darin aber weicht er von den grie-
chischen und römischen Tempeln ab, daß er, vielleicht in Anlehnung an eine altorientalische Anordnung von einer Langseite
her, der westlichen zugänglich war. Außergewöhnlich erscheint auch, daß dieser Zugang durch ein in die Säulenhalle der Ring-
halle eingebautes verschließbares Portal vermittelt wurde, hinter dem in der westlichen Cellawand eine nicht verschließbare Tür

*) Vgl. dazu auch die Tafeln 62—69 des Werkes Djemal-Pascha-Wiegand, Alte Denkmaler aus Syrien etc.

2) Für die freundliche Überlassung dieser beiden Flugbildaufnahmen und die Genehmigung zur Publikation sage ich der Altcrtumsverwaltung zu Beyrut

und ihrem derzeitigen Leiter, Herrn A. Seyrig, den verbindlichsten Dank. Th. W.
 
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