13
VIII.
Zu den ältesten Darstellungen von Christen in einer Gebetshaltung zählen Fresken in rö-
mischen Katakomben. Als stehende Oranten strecken sie ihre in Höhe der Schultern ausge-
breiteten Arme zum Himmel87 und nehmen so Kontakt zu Gott auf. Selten sind sie in Ver-
schlußplatten frühchristlicher Loculi geritzt.88 Relieffiguren als Oranten erscheinen manchmal
auf den Langseiten frühchristlicher Sarkophage89 und um 300 auf den Beter-Stelen aus dem
ägyptischen Terenutis90. Im tunesischen Tabarka schmückten Mosaik-Bilder von Oranten im
5. Jahrhundert die Grabsteine91 von Männern und Frauen. Die Orantenhaltung war offenbar
die einzige von Gläubigen wie Priestern gebrauchte Bethaltung im ersten Jahrtausend. Bei-
spiele findet man noch um 1200, z. B. am Dom in Münster (nach 1132)92, in Borghorst (um
1135/40)93, in Drübeck94 um 1150 oder in Simonswolde und Ditzum95. Um 1200. Einen rei-
tenden Krieger als Vorläufer der romanischen Ritter zeigt im 7. Jahrhundert die berühmte
Stele von Hornhausen96. Aber es gibt weder einen Oranten zu Roß noch einen Ritter, der als
Toter die Orantenhaltung nachahmt. Figurenbilder auf frühmittelalterlichen Stelen sind sehr
selten97. Auf den meist kleinen Platten waren Oranten schwer unterzubringen. Wenig bekannt
ist bislang die kaum 100 cm große Figur eines mit einem Kurzschwert bewaffneten, von zwei
Kreuzen auf Kopfhöhe flankierten Kriegers in einem kurios gegürteten Kleid, die Klaus Wes-
sel (1916-1987)98 1955 publizierte und ins 8. Jahrhundert datierte. Das Stück im Thüringer
Museum in Eisenach/TH ist wegen seiner fast quadratischen Pfeilerform wohl kein Grabstein,
sondern eine Stele.
IX.
Wenn man Josef Fleckenstein (1919-2004)" zustimmt, der die Entstehung des „Ritterstandes“
im späten 11. Jahrhundert ansetzte, dann ist das „Grabbild“100 zur selben Zeit erfunden wor-
den - und zwar nach dem Schlachtentod des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden (f 1080).
Dieser trägt auf seiner Bronzeplatte im Merseburger Dom, die unmittelbar nach seinem Tod
87 Stefan Heid, Gebetshaltung und Ostung in frühchristlicher Zeit, in: Rivista di Archeologia Cristiana 82 (2006)
347-404; Ders., Haltung und Richtung-Grundformen frühchristlichen Betens, in: communio 38,6 (2009) 611 -
619.
88 Fabrizio Mancinelli, Führer zu den Katakomben in Rom, Florenz 2007,46 ff.
"’Panofsky 1964, Abb. 141, 161, 162.
90 Alfred Hermann, Die Beter-Stelen von Terenutis in Ägypten - Zur Vorgeschichte der christlichen Oransdar-
stellung, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 6 (1963) 112-128.
51 Panofsky 1964, Abb. 175,177; Margaret A. Alexander, Mosaic Ateliers at Tabarka, in: Dumbarton Oaks Pa-
pers 41 (1987) 1-11.
92 Mosel 1970, Abb. 48a, b; Böhm 1993, Abb. 8.
93 Böhm 1993, Abb. 9.
"Mosel 1970, Abb. 12.
95 Böhm 1993, Abb. 10.
96 Christoph Stiegemann u. a., CREDO - Christianisierung Europas im Mittelalter, Petersberg 2013, Katalog, Nr.
341; Ralf Schwarz, Des Kriegers letzter Ritt nach Walhall, in: Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-
Anhalts (Hg.), Schönheit, Macht und Tod - 120 Funde aus 120 Jahren, Halle (Saale) 2001,58; Reinhold Ändert,
Der fränkische Reiter, Querfurt 2006, 238-243.
97 Helmut Roth, Bildsteine, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2 (1976) 551-561 mit Abb.; An-
drea Nisters-Weisbecker, Grabsteine des 7.-11. Jahrhunderts am Niederrhein (Diss. Köln 1981/82), in: Bonner
Jahrbücher 183 (1983) 175-326, Nr. 170-172; Deborah Karl-Brandt, Haartracht und Haarsymbolik bei den Ger-
manen (Diss. Bonn 2017), Wien u. a. 2020, 150-170.
98 Klaus Wessel, Ein Grabstein des achten Jahrhunderts in Eisenach, in: Nachrichten des Deutschen Instituts für
merowingisch-karolingische Kunstforschung 9 (1955) 1-10.
99 Josef Fleckenstein, Das Rittertum der Stauferzeit, in: Reiner Haussherr (Hg.), Die Zeit der Staufer, Stuttgart
1977, III 103-109; Ders., Rittertum, in: Theologische Realenzyklopädie 29 (1998) 244-253; Ders., Rittertum und
ritterliche .Welt, Berlin 2002.
100 Überzeugender ist die Bezeichnung „Grabfigur“.
VIII.
Zu den ältesten Darstellungen von Christen in einer Gebetshaltung zählen Fresken in rö-
mischen Katakomben. Als stehende Oranten strecken sie ihre in Höhe der Schultern ausge-
breiteten Arme zum Himmel87 und nehmen so Kontakt zu Gott auf. Selten sind sie in Ver-
schlußplatten frühchristlicher Loculi geritzt.88 Relieffiguren als Oranten erscheinen manchmal
auf den Langseiten frühchristlicher Sarkophage89 und um 300 auf den Beter-Stelen aus dem
ägyptischen Terenutis90. Im tunesischen Tabarka schmückten Mosaik-Bilder von Oranten im
5. Jahrhundert die Grabsteine91 von Männern und Frauen. Die Orantenhaltung war offenbar
die einzige von Gläubigen wie Priestern gebrauchte Bethaltung im ersten Jahrtausend. Bei-
spiele findet man noch um 1200, z. B. am Dom in Münster (nach 1132)92, in Borghorst (um
1135/40)93, in Drübeck94 um 1150 oder in Simonswolde und Ditzum95. Um 1200. Einen rei-
tenden Krieger als Vorläufer der romanischen Ritter zeigt im 7. Jahrhundert die berühmte
Stele von Hornhausen96. Aber es gibt weder einen Oranten zu Roß noch einen Ritter, der als
Toter die Orantenhaltung nachahmt. Figurenbilder auf frühmittelalterlichen Stelen sind sehr
selten97. Auf den meist kleinen Platten waren Oranten schwer unterzubringen. Wenig bekannt
ist bislang die kaum 100 cm große Figur eines mit einem Kurzschwert bewaffneten, von zwei
Kreuzen auf Kopfhöhe flankierten Kriegers in einem kurios gegürteten Kleid, die Klaus Wes-
sel (1916-1987)98 1955 publizierte und ins 8. Jahrhundert datierte. Das Stück im Thüringer
Museum in Eisenach/TH ist wegen seiner fast quadratischen Pfeilerform wohl kein Grabstein,
sondern eine Stele.
IX.
Wenn man Josef Fleckenstein (1919-2004)" zustimmt, der die Entstehung des „Ritterstandes“
im späten 11. Jahrhundert ansetzte, dann ist das „Grabbild“100 zur selben Zeit erfunden wor-
den - und zwar nach dem Schlachtentod des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden (f 1080).
Dieser trägt auf seiner Bronzeplatte im Merseburger Dom, die unmittelbar nach seinem Tod
87 Stefan Heid, Gebetshaltung und Ostung in frühchristlicher Zeit, in: Rivista di Archeologia Cristiana 82 (2006)
347-404; Ders., Haltung und Richtung-Grundformen frühchristlichen Betens, in: communio 38,6 (2009) 611 -
619.
88 Fabrizio Mancinelli, Führer zu den Katakomben in Rom, Florenz 2007,46 ff.
"’Panofsky 1964, Abb. 141, 161, 162.
90 Alfred Hermann, Die Beter-Stelen von Terenutis in Ägypten - Zur Vorgeschichte der christlichen Oransdar-
stellung, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 6 (1963) 112-128.
51 Panofsky 1964, Abb. 175,177; Margaret A. Alexander, Mosaic Ateliers at Tabarka, in: Dumbarton Oaks Pa-
pers 41 (1987) 1-11.
92 Mosel 1970, Abb. 48a, b; Böhm 1993, Abb. 8.
93 Böhm 1993, Abb. 9.
"Mosel 1970, Abb. 12.
95 Böhm 1993, Abb. 10.
96 Christoph Stiegemann u. a., CREDO - Christianisierung Europas im Mittelalter, Petersberg 2013, Katalog, Nr.
341; Ralf Schwarz, Des Kriegers letzter Ritt nach Walhall, in: Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-
Anhalts (Hg.), Schönheit, Macht und Tod - 120 Funde aus 120 Jahren, Halle (Saale) 2001,58; Reinhold Ändert,
Der fränkische Reiter, Querfurt 2006, 238-243.
97 Helmut Roth, Bildsteine, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2 (1976) 551-561 mit Abb.; An-
drea Nisters-Weisbecker, Grabsteine des 7.-11. Jahrhunderts am Niederrhein (Diss. Köln 1981/82), in: Bonner
Jahrbücher 183 (1983) 175-326, Nr. 170-172; Deborah Karl-Brandt, Haartracht und Haarsymbolik bei den Ger-
manen (Diss. Bonn 2017), Wien u. a. 2020, 150-170.
98 Klaus Wessel, Ein Grabstein des achten Jahrhunderts in Eisenach, in: Nachrichten des Deutschen Instituts für
merowingisch-karolingische Kunstforschung 9 (1955) 1-10.
99 Josef Fleckenstein, Das Rittertum der Stauferzeit, in: Reiner Haussherr (Hg.), Die Zeit der Staufer, Stuttgart
1977, III 103-109; Ders., Rittertum, in: Theologische Realenzyklopädie 29 (1998) 244-253; Ders., Rittertum und
ritterliche .Welt, Berlin 2002.
100 Überzeugender ist die Bezeichnung „Grabfigur“.