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Eine auffallende Häufung von Grabsteinen mit betenden Rittern, die durchweg nicht in der
ursprünglichen Form und an der ursprünglichen Stelle erhalten sind, findet man am Oberrhein
zwischen 1316 und 1362. Auf Konrad I. Schaler von Benken (f 1316)1’1 (Abb. 35) und Ru-
dolf III. von Thierstein (t 1318)151 152 (Abb. 36) im Basler Münster folgten Berchtold von Wald-
ner (t 1343)'53 in Soultz/Haut-Rhin (Abb. 37), Kuno von Falkenstein (t 13 43)154 in St. Gallus
in Kirchzarten/BW (Abb. 38), Hans Ulrich von Hus aus Issenheim (f 1344)155 in
Colmar/Haut-Rhin, Unterlinden-Museum (Abb. 39), der um 1350 erneuerte letzte Zähringer
Berthold V. (f 1218)156 im Freiburger Münster (Abb. 40) und schließlich Jean III de Ribeau-
pierre (f 13 62)157 (Abb. 41) aus Ribeauville/Haut-Rhin, an den eine Zeichnung des 18. Jahr-
hunderts in Colmar erinnert. Alle diese Platten verzichten auf Maßwerkrahmen, Figurenbal-
dachine und Assistenzfigürchen. Die Männer haben durchweg ihre Waffen neben sich abge-
legt und benutzen ihre Helme als Kopfstützen. Ich breche mit einem für die Rüstungsentwick-
lung aufschlußreichen Beispiel - dem Ritter Dietrich II. von der Mark (t 13 98)158 (Abb. 42)
in der Stiftskirche St. Clara in Dortmund-Hörde/NW - die Serie der „milites orantes“ ab, die
sich mit immer seltener werdenden Beispielen bis zur Renaissance verfolgen läßt.
XIV.
Alle mittelalterlichen „milites orantes“ haben offene Augen und zeigen dieselbe Gebetshal-
tung: die mit ausgestreckten Fingern vor der Brust zusammengelegten Hände. Varianten
entstehen durch die Veränderung des Winkels zwischen Ober- und Unterarm sowie die Annä-
herung oder Entfernung der Hände an den oder vom Brustkorb, die von der Auflage der Hän-
de auf die Brust über 90 Grad bis zum senkrechten Stehen auf ihr geht, und die Annäherung
oder Entfernung der Handflächen zueinander oder voneinander.
Das Alter dieser auf gotischen Grabdenkmälern sehr verbreiteten Gebetshaltung konnte
noch nicht eindeutig bestimmt werden. Sie ist nach 1204/5 in Frankreich159 und England160
besonders früh aufgetreten. Mit Hilfe von Darstellungen kniender Päpste konnte Gerhart
B(urian) Ladner (1905-1993)161 1961 erste Beispiele für diese Handhaltung, die er „younger
prayer gesture“ nannte, in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren. In Deutschland sind
frühe Beispiele von Frauen auf Doppelgräbem in den Jahren vor 1250 nachzuweisen, so im
Braunschweiger Dom (Abb. 43) Mathilde von England (t 1185) neben Heinrich dem Löwen
151 Hans-Rudolf Meier u. a., Das Basler Münster (Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt X), Bem 2019,
339f„ Abb. 418.
152 Meier 2019, 339, Abb. 419.
153 Wolfgang Kleiminger, Die Plastik im Elsaß 1260-1360 (Diss. Freiburg 1937; Forschungen zur Geschichte der
Kunst am Oberrhein 1), Freiburg 1939, 41, Abb. 4; Martin 1967, Abb. 51(nach Schöpflin 1770).
15,1 Manfred Hermann, Kirchzarten, Pfarrkirche St. Gallus (K. K. 1064), München-Zürich 1976, Abb. S. 19;
Bauch 1976, Abb. 221; Hartmann M. Schärf (Hg.), Die Kirchzartner Talvogtei, Lindenberg 2000, Abb. 107.
155 Bauch 1976, Abb. 220; Egli 1987, 144, Abb. 18.
156 Bauch 1976, Abb. 352a.
157 Martin 1967, Abb. 75.
,5ä Wilfried G. Vogt, Graf Diderik von der Mark, 1398 vor Elberfeld gefallen? Eine kritische Untersuchung
seiner Grabplatte und ein Einwand zum angeblichen Sterbeort, in; Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der
Grafschaft Mark 89, NF 47 (1998) 67-99.
Vgl. Jean Adhemar/Gertrude Dordor, Les tombeaux de la collection Gaigniöres - Dessins d’archiologie du
XVIIe siede, in: Gazette des Beaux-Arts 84 (1974) Tome 1, Abb. 51,53,128-131,133f., 140 ff.; Hurtig 1979,
Abb. 19,21-23.
Vgl. Hurtig 1979, Abb. 181,222,230 ff.
161 Gerhart B. Ladner, The Gestures of Prayer in Papal Iconography of the Thirteenth and Fourteenth Centimes,
in: Sesto Prete (Hg.), DIDASCALIAE - Studies in Honor of Anselm M. Albareda, New York 1961, 245,275;
Ders., Images and Ideas in the Middle Ages - Selected Studies in History and Art (Storia e Letteratura 155), I
209-237.
Eine auffallende Häufung von Grabsteinen mit betenden Rittern, die durchweg nicht in der
ursprünglichen Form und an der ursprünglichen Stelle erhalten sind, findet man am Oberrhein
zwischen 1316 und 1362. Auf Konrad I. Schaler von Benken (f 1316)1’1 (Abb. 35) und Ru-
dolf III. von Thierstein (t 1318)151 152 (Abb. 36) im Basler Münster folgten Berchtold von Wald-
ner (t 1343)'53 in Soultz/Haut-Rhin (Abb. 37), Kuno von Falkenstein (t 13 43)154 in St. Gallus
in Kirchzarten/BW (Abb. 38), Hans Ulrich von Hus aus Issenheim (f 1344)155 in
Colmar/Haut-Rhin, Unterlinden-Museum (Abb. 39), der um 1350 erneuerte letzte Zähringer
Berthold V. (f 1218)156 im Freiburger Münster (Abb. 40) und schließlich Jean III de Ribeau-
pierre (f 13 62)157 (Abb. 41) aus Ribeauville/Haut-Rhin, an den eine Zeichnung des 18. Jahr-
hunderts in Colmar erinnert. Alle diese Platten verzichten auf Maßwerkrahmen, Figurenbal-
dachine und Assistenzfigürchen. Die Männer haben durchweg ihre Waffen neben sich abge-
legt und benutzen ihre Helme als Kopfstützen. Ich breche mit einem für die Rüstungsentwick-
lung aufschlußreichen Beispiel - dem Ritter Dietrich II. von der Mark (t 13 98)158 (Abb. 42)
in der Stiftskirche St. Clara in Dortmund-Hörde/NW - die Serie der „milites orantes“ ab, die
sich mit immer seltener werdenden Beispielen bis zur Renaissance verfolgen läßt.
XIV.
Alle mittelalterlichen „milites orantes“ haben offene Augen und zeigen dieselbe Gebetshal-
tung: die mit ausgestreckten Fingern vor der Brust zusammengelegten Hände. Varianten
entstehen durch die Veränderung des Winkels zwischen Ober- und Unterarm sowie die Annä-
herung oder Entfernung der Hände an den oder vom Brustkorb, die von der Auflage der Hän-
de auf die Brust über 90 Grad bis zum senkrechten Stehen auf ihr geht, und die Annäherung
oder Entfernung der Handflächen zueinander oder voneinander.
Das Alter dieser auf gotischen Grabdenkmälern sehr verbreiteten Gebetshaltung konnte
noch nicht eindeutig bestimmt werden. Sie ist nach 1204/5 in Frankreich159 und England160
besonders früh aufgetreten. Mit Hilfe von Darstellungen kniender Päpste konnte Gerhart
B(urian) Ladner (1905-1993)161 1961 erste Beispiele für diese Handhaltung, die er „younger
prayer gesture“ nannte, in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren. In Deutschland sind
frühe Beispiele von Frauen auf Doppelgräbem in den Jahren vor 1250 nachzuweisen, so im
Braunschweiger Dom (Abb. 43) Mathilde von England (t 1185) neben Heinrich dem Löwen
151 Hans-Rudolf Meier u. a., Das Basler Münster (Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt X), Bem 2019,
339f„ Abb. 418.
152 Meier 2019, 339, Abb. 419.
153 Wolfgang Kleiminger, Die Plastik im Elsaß 1260-1360 (Diss. Freiburg 1937; Forschungen zur Geschichte der
Kunst am Oberrhein 1), Freiburg 1939, 41, Abb. 4; Martin 1967, Abb. 51(nach Schöpflin 1770).
15,1 Manfred Hermann, Kirchzarten, Pfarrkirche St. Gallus (K. K. 1064), München-Zürich 1976, Abb. S. 19;
Bauch 1976, Abb. 221; Hartmann M. Schärf (Hg.), Die Kirchzartner Talvogtei, Lindenberg 2000, Abb. 107.
155 Bauch 1976, Abb. 220; Egli 1987, 144, Abb. 18.
156 Bauch 1976, Abb. 352a.
157 Martin 1967, Abb. 75.
,5ä Wilfried G. Vogt, Graf Diderik von der Mark, 1398 vor Elberfeld gefallen? Eine kritische Untersuchung
seiner Grabplatte und ein Einwand zum angeblichen Sterbeort, in; Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der
Grafschaft Mark 89, NF 47 (1998) 67-99.
Vgl. Jean Adhemar/Gertrude Dordor, Les tombeaux de la collection Gaigniöres - Dessins d’archiologie du
XVIIe siede, in: Gazette des Beaux-Arts 84 (1974) Tome 1, Abb. 51,53,128-131,133f., 140 ff.; Hurtig 1979,
Abb. 19,21-23.
Vgl. Hurtig 1979, Abb. 181,222,230 ff.
161 Gerhart B. Ladner, The Gestures of Prayer in Papal Iconography of the Thirteenth and Fourteenth Centimes,
in: Sesto Prete (Hg.), DIDASCALIAE - Studies in Honor of Anselm M. Albareda, New York 1961, 245,275;
Ders., Images and Ideas in the Middle Ages - Selected Studies in History and Art (Storia e Letteratura 155), I
209-237.