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Wischermann, Heinfried; Wischermann, Heinfried [Hrsg.]
Berichte und Forschungen zur Kunstgeschichte (Band 19): "Milites Orantes": Überlegungen zur Form und zur Deutung der Gebetshaltung mittelalterlicher Ritter auf ihren Grabdenkmälern — Freiburg i. Br.: Heinfried Wischermann, 2024

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https://doi.org/10.11588/diglit.70526#0025
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Saints“171, ausdrücken. Und sie ergänzte in ihrer Zusammenfassung: „The Gothic gisant was
portrayed in the presumed youthful age of the resurrection“172.
Bei der Lektüre des viel zitierten Standardwerks von Erwin Panofsky (1892-1968) fällt
wiederholt auf, daß er sich mehr mit den Vorbildern und Anregungen der Grabmalgattungen
beschäftigte als mit deren Deutung. Er hielt die Verstorbenen auf mittelalterlichen Grabmo-
numenten für „terrestrial members of the City of God“173, was etwas vage klingt. Seine Erklä-
rung der offenen Augen174 der Toten ist auf die Ritter-Gruppe nicht anwendbar.
Auch das schon mehrfach genannte Handbuch über das „Mittelalterliche Grabbild“ von
Kurt Bauch (1897-1975) von 1976 gilt als Standardwerk, allerdings als ein korrekturbedürf-
tiges175. Kapitel 10 ist mit „Krieger“ betitelt, sollte aber eher „Ritter“ heißen, da die Zeit der
Reiterkrieger als der Vorläufer der Ritter nicht behandelt wird. In vier Abschnitten stellte Kurt
Bauch chronologisch Beispiele aus Frankreich, England, Deutschland und Italien zusammen,
ohne die ältesten Beispiele in den genannten Ländern ermittelt zu haben. Er charakterisierte
vor allem den Stil der Grabbilder. Deutungen seiner „Krieger“, obwohl fast die Hälfte von
ihnen als „Beter“ erscheint, fehlen.
Der Versuch von Gerhard Schmidt (1924-2010)176 von 1990, einen typen- und motivge-
schichtlichen Abriß zum spätmittelalterlichen Monumentalgrab in Europa zu schreiben, konn-
te nicht gelingen, da dafür alle Vorarbeiten fehlten. Die Erfassung des Materials und der For-
schungsliteratur war schon 1980 für einen Verfasser unmöglich, die gleichwertige Beurteilung
der Schöpfungen nur der wichtigsten Länder noch unmöglicher. Und erst recht mußte die
Vielfalt der zu diskutierenden Gesichtspunkte - selbst bei einer Beschränkung auf die Typen
und Motive nur einer Epoche - einen einzelnen Forscher überfordern. Schon die Verwendung
eines Begriffs wie „Monumentalgrab“ im Titel belegt, daß der Kunstwissenschaft - und nicht
nur den Autoren der „Deutschen Inschriften“ - eine durchdachte Terminologie für die wich-
tigsten Grabmaltypen fehlt. In meinem Zusammenhang ist bei Gerhard Schmidt nur der Ab-
schnitt „Der liegende Beter“177 von Interesse, allerdings fehlt in ihm sogar eine Vorstellung
der Gebetshaltungen der Liegefiguren. Immerhin hat er erkannt, daß ein liegender Beter „am
unmittelbarsten eschatologisch orientiert“178 ist. Sein anschließender Deutungsvorschlag -
„Die zum Gebet gefalteten Hände in Verbindung mit den weit geöffneten Augen und der ho-
rizontalen Lage entsprechen keiner konkreten Situation, sondern sind als voneinander unab-
hängige Metaphern zu lesen.“ - ist wohl nicht zutreffend.
Der Colmarer Mediävist Jean-Claude Schmitt179, dem die deutschsprachigen Leser schon
die genannte „Logik der Gesten“ verdanken und der begeistert über Aberglauben, Geister und
Okkultismus forschte, stellte 1994 die so verblüffende, wie abwegige Frage: „Les gisants: des
revenants?“ Natürlich kann man Liegefiguren (gisants) mit Totengeistem (revenants) verglei-
chen, aber man darf sie nicht gleichsetzen! Wenig überzeugend sind die Annahmen des Ver-

171 s'Jacob 1954, 19.
172 s'Jacob 1954, 230.
173 Panofsky 1964, 54.
174 Panofsky 1964, 56: „The „Gothick North“ [... ] was reluctant to deprive the departed of their ability to face
that perpetual light which was to shine upon them and to deny them the use of their hands for prayer or other
ceremonial gcsturcs“. In der deutschen Ausgabe 1964,60.
175 Trotz meiner Hinweise auf die fast zahllosen Druck- und Sachfehler der Erstauflage hat der Verlag das Buch
2011 nachgedruckt.
176 Gerhard Schmidt, Typen und Bildmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes, in: Jörg Gams/Angiola
Maria Romanini (Hg.), Skulptur und Grabmal des Spätmittelalters in Rom und Italien (Akten des Kongresses
Rom 1985; Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kuhurinstitut in Rom 1/10), Wien
1990, 13-82.
177 Schmidt 1990, 62-65.
178 Schmidt 1990, 71.
179 Jean-Claude Schmitt, Les Revenants - Les vivants et les morts dans la societe mddidvale (Bibliothdque des
Histoires), Paris 1994, 247. Lesenswert zu „Wiedergängem (Revenants) und ihren Jenseitserfahrungen“: Alois
M. Haas, Todesbilder im Mittelalter - Fakten und Hinweise in der deutschen Literatur, Darmstadt 1989, 76-82.
 
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