EINLEITUNG
FAas heisse Bemühen des Historikers, aus dem Material
der überlieferten Tatsachen Geist und Seele ver-
gangener Zeiten zu rekonstruieren, bleibt im letzten Grunde
ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Denn der Träger
der historischen Erkenntnis bleibt unser Ich in seiner
zeitlichen Bedingtheit und Beschränktheit, ob wir es auch
noch so sehr auf eine scheinbare Objektivität zurückzu-
schrauben versuchen. Uns von unseren eignen zeitlichen
Voraussetzungen in dem Masse frei zu machen und uns die
inneren Voraussetzungen der Vergangenheitsepochen in dem
Masse zu eigen zu machen, dass wir wirklich mit ihrem Geiste
denken und mit ihrer Seele empfinden, das wird uns nie
gelingen. Wir bleiben vielmehr mit unserem historischen
Auffassungs- und Erkenntnisvermögen eng eingeschlossen
in den Grenzen unserer durch zeitliche Umstände bestimmten
inneren Struktur. Und je einsichtsvoller, je feinfühliger ein
Geschichtsforscher ist, um so stärker leidet er in immer sich
erneuernden Anfällen lähmender Resignation an der Er-
kenntnis, dass es das rtpörov tpeöSo; aller Historie ist, dass
wir die vergangenen Dinge nicht von ihren, sondern von
unseren Voraussetzungen aus auffassen und werten.
Den Vertretern des naiven historischen Realismus sind
diese Zweifel fremd. Sie machen skrupellos die relativen
Voraussetzungen ihrer jeweiligen Menschlichkeit zu abso-
luten Voraussetzungen aller Zeiten und leiten so gleichsam
aus der Beschränktheit ihres historischen Erkenntnisapparates
heraus das Recht auf konsequente Geschichtsfälschung ab.
„Jene naiven Historiker nennen „Objektivität“ das Messen
vergangener Meinungen und Taten an den Allerwelts-
meinungen des Augenblicks: hier finden sie den Kanon aller
Wahrheiten; ihre Arbeit ist, die Vergangenheit der zeit-
i
FAas heisse Bemühen des Historikers, aus dem Material
der überlieferten Tatsachen Geist und Seele ver-
gangener Zeiten zu rekonstruieren, bleibt im letzten Grunde
ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Denn der Träger
der historischen Erkenntnis bleibt unser Ich in seiner
zeitlichen Bedingtheit und Beschränktheit, ob wir es auch
noch so sehr auf eine scheinbare Objektivität zurückzu-
schrauben versuchen. Uns von unseren eignen zeitlichen
Voraussetzungen in dem Masse frei zu machen und uns die
inneren Voraussetzungen der Vergangenheitsepochen in dem
Masse zu eigen zu machen, dass wir wirklich mit ihrem Geiste
denken und mit ihrer Seele empfinden, das wird uns nie
gelingen. Wir bleiben vielmehr mit unserem historischen
Auffassungs- und Erkenntnisvermögen eng eingeschlossen
in den Grenzen unserer durch zeitliche Umstände bestimmten
inneren Struktur. Und je einsichtsvoller, je feinfühliger ein
Geschichtsforscher ist, um so stärker leidet er in immer sich
erneuernden Anfällen lähmender Resignation an der Er-
kenntnis, dass es das rtpörov tpeöSo; aller Historie ist, dass
wir die vergangenen Dinge nicht von ihren, sondern von
unseren Voraussetzungen aus auffassen und werten.
Den Vertretern des naiven historischen Realismus sind
diese Zweifel fremd. Sie machen skrupellos die relativen
Voraussetzungen ihrer jeweiligen Menschlichkeit zu abso-
luten Voraussetzungen aller Zeiten und leiten so gleichsam
aus der Beschränktheit ihres historischen Erkenntnisapparates
heraus das Recht auf konsequente Geschichtsfälschung ab.
„Jene naiven Historiker nennen „Objektivität“ das Messen
vergangener Meinungen und Taten an den Allerwelts-
meinungen des Augenblicks: hier finden sie den Kanon aller
Wahrheiten; ihre Arbeit ist, die Vergangenheit der zeit-
i