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BEGINNENDE EMANZIPATION

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meister in den innersten Kern der bisher von ihm unange-
tasteten antiken Bauform ein.
Wir wollen diesen entscheidenden Vorgang in einem be-
sonderen Kapitel behandeln.

BEGINNENDE EMANZIPATION
VOM KLASSISCHEN BAUGEDANKEN
[~Aie antike Architektur hatte sich, vom Orient angeregt, in
hellenistischer Zeit und weiter in römischer Zeit ein-
gehend mit dem Wölbungsproblem beschäftigt und die römi-
sche Provinzialkunst hatte auch auf nordischem Boden im-
posante Beispiele ihrer Lösungen hinterlassen. Aber die nun
einsetzende mittelalterliche Wölbungskunst hat künstlerisch
nichts, nur technisch etwas mit dieser antiken klassischen
Wölbungstradition zu tun. Mit der orientalischen Wölbungs-
tradition, die ebenso wie die spätere nordische auf male-
rische Raumgestaltung ausging, wären die künstlerischen
Zusammenhänge schon leichter zu finden. Doch das würde
uns zu weit führen. Um den fundamentalen Unterschied
zwischen der klassischen und der gotisch-nordischen Wöl-
bungsidee zu verstehen, müssen wir uns klarmachen, welchen
künstlerischen Zwecken die klassische Wölbungskunst diente.
Die Genesis klassischer Wölbungskunst hängt eng zusammen
mit der in hellenistischer Zeit einsetzenden und in römischer
Zeit zu ihrem Höhepunkt sich entwickelnden Innenraum-
gestaltung. Wir sahen, wie in griechischei Zeit der Raum
als solcher keine künstlerische Rolle spielte; die griechische
Baukunst erkannten wir als reine Tektonik ohne raum-
schaffende Absicht. In hellenistischer Zeit büsst das grie-
chische Empfinden nun seine ganz auf substantielles, fassbares
Sein gerichtete Plastik ein; durch die Berührung mit dem
Orient wird es mit unsinnlichen geistigen Momenten durchsetzt
und folgerichtig entwickelt sich aus der Tektonik eine raum-
schaffende Kunst. Wir haben diese Zusammenhänge schon
an anderer Stelle behandelt. Aber selbst bei dieser Raum-
schaffungsabsicht blieb die eigentliche Antike klassisch, d. h.
auch an den Raum tritt sie mit organischen Gestaltungszielen
 
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