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DER KLASSISCHE MENSCH

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suchte er durch möglichst vereinfachende unzweideutige De-
monstration des Flächenzusammenhangs, durch möglichste
Wahrung der kubischen Geschlossenheit — durch geringe
Licht- und Schattenwirkungen, d. h. durch eine alle räum-
lichen, unfassbaren, zufälligen Momente ausschliessende
Modellierung — die Unklarheit, die das kubische Gebilde
der einheitlichen Wahrnehmung bietet, zu überwinden. An-
näherung an die abstrakten kubischen Elementarformen war
das Resultat dieser jeder Lebensannäherung ausweichenden
Stilabsicht. So rückte die künstlerische Darstellung des
Organisch-Lebendigen auch innerhalb der Plastik wieder in
das höhere Bereich einer abstrakten toten Gesetzmässigkeit,
wurde statt Abbild eines Bedingten das Symbol eines Unbe-
dingten, Notwendigen. Doch es kann für diese höchste und
komplizierteste Aufgabe des künstlerischen Abstraktions-
triebes der primitive Mensch kaum als Beispiel herangeholt
werden, erst die orientalische Kunst, vor allem die ägyptische,
brachte hier die grossen Entscheidungen. Doch davon später.

DER KLASSISCHE MENSCH
FAie Auseinandersetzung zwischen Mensch und Aussen-
weit spielt sich natürlich einzig im Menschen ab und
ist nichts anderes, als die sich in ihm vollziehende Aus-
einandersetzung von Instinkt und Verstand. Beim Menschen
der frühsten Entwicklung ist der Instinkt noch alles, der
Verstand nichts. Auf Grund seines wachsenden Erfahrungs-
und Vorstellungsbesitzes aber orientiert sich der Mensch
immer umfassender im Weltbilde und allmählich löst sich
das Chaos der Sinneneindrücke in eine Ordnung sinnvollen
Geschehens auf. Das Chaos wird zum Kosmos. Mit dieser
wachsenden geistigen Eroberung des Weltbildes schwindet
naturgemäss das Gefühl für die aller Erkenntnis spottende
Relativität der Erscheinungswelt, die Furcht des Instinkts
wird durch äussere Erkenntnis beschwichtigt und flaut
langsam ab, und während das menschliche Selbstbewusstsein
sich immer mehr anthropozentrischem Hochmut nähert, ver-
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