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DER PRIMITIVE MENSCH

Summe der menschlichen Energien, unbegrenzt variabel aber
die Zusammensetzung ihrer einzelnen Faktoren und die
daraus resultierenden Erscheinungsformen.
Die Variabilität jener seelischen Kategorien, die ihren
formalen Ausdruck in der Stilentwicklung gefunden hat,
geht in Wandlungen vor sich, deren Gesetzlichkeit von jenem
Urprozess aller menschheitsgeschichtlichen Entwicklung re-
guliert wird: der wechselvollen, schicksalsreichen Aus-
einandersetzung von Mensch und Aussenwelt. Die ununter-
brochenen Verschiebungen in diesem Verhältnis des Menschen
zu den auf ihn eindrängenden Eindrücken aus der Umwelt
bilden den Ausgangspunkt für jede Psychologie in grösserem
Stil, und kein geschichtliches, kulturelles oder künstlerisches
Phänomen ist unserem Verständnis zugänglich, bevor wir
es nicht in die Linien dieses entscheidenden Gesichtspunktes
gerückt haben.

DER PRIMITIVE MENSCH
T m die Stellung des gotischen Menschen gegenüber der
Aussenwelt und seine daraus resultierende seelisch-
geistige Eigenart und weiterhin die von ihr bestimmten
Formelemente seiner Kunst zu charakterisieren, bedürfen
wir einiger verlässlicher Anhaltspunkte, einiger festen Mass-
stäbe. Da die Gotik in ihrer Zusammensetzung ein äusserst
kompliziertes und differenziertes Phänomen ist, können wir
Massstäbe für sie nur dadurch gewinnen, dass wir uns vorher
an einigen Grundtypen der Menschheit über die Wege der
Untersuchung orientieren. Grundtypen der Menschheit
nenne ich jene entwicklungsgeschichtlichen Bildungen, in
denen ein bestimmtes und relativ einfaches Verhältnis der
Menschheit zur Aussenwelt eine klare und paradigmatische
Ausprägung erhalten hat. Solche grossen Musterbeispiele
für die Menschheitsgeschichte, die uns das Verständnis der
weniger scharf ausgeprägten oder feiner nuancierten Er-
scheinungen erleichtern, sind der primitive Mensch, der
klassische Mensch und der orientalische Mensch.
 
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