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28

DIE GEHEIME GOTIK DER

die wir uns zu begründen anschicken, als blosse These voran-
geschickt sein.
Wir wiederholen also, dass nach unserer Anschauung
die Kunst des ganzen Okzidents, soweit sie nicht unmittelbar
Anteil hatte an der antiken Mittelmeerkultur, ihrem innersten
Charakter nach gotisch war und es bis zur Renaissance, dieser
grossen Peripetie der nordischen Entwicklung, blieb; d. h.
der in ihr immanente, äusserlich oft kaum erkennbare Form-
wille ist derselbe, der in der reifen historischen Gotik seine
klare, ungetrübte, monumentale Ausgestaltung erhält. Wir
werden später sehen, wie selbst die von ganz anderen seelischen
Voraussetzungen ausgehende italienische Renaissance, als sie
auf den Norden Übergriff und zum europäischen Stil wurde,
den gotischen Formwillen nicht ganz zu ersticken vermochte:
das nordische Barock ist in gewissem Sinne das Wiederauf-
flackern des unterdrückten gotischen Formwillens unter einer
fremden Hülle. So geht also der stilpsychologische Begriff
der Gothik auch nach der Gegenwart zu über den Schulbegriff
Gotik hinaus.
Die Basis, auf der sich der gotische Formwille entwickelt,
ist der geometrische Stil, wie er als Stil des primitiven Men-
schen über die ganze Erde verbreitet ist, um die Zeit aber, wo
der Norden in die geschichtliche Entwicklung eingreift,
speziell als Gemeingut aller arischen Völker erscheint. Ehe
wir die Entwicklung dieses primitiven geometrischen Stiles
zum gotischen Stile andeuten, möchten wir, um die welt-
geschichtliche Situation zu kennzeichnen, daran erinnern,
dass schon mit der dorischen Wanderung dieser arische
Gemeinstil zusammenstösst mit dem orientalisch gefärbten
Stil der frühen Mittelmeervölker, und dass er den Anstoss
zur spezifisch griechischen Entwicklung gibt. Zuerst ist
der Konflikt zwischen den beiden heterogenen Stilgedanken
ein ganz krasser: Mykenestil und Dipylonstil. Dann klingt er
gemildert nach in dem Charakterunterschied zwischen dori-
schem und ionischem Stil. Schliesslich findet die Versöhnung
im reifen klassischen Stil statt, kurz dieser erste Ausläufer
des arischen Stilgutes mündet ganz in die Mittelmeerkultur
ein und scheidet deshalb für unsere Betrachtung vorerst aus.
Uns interessiert nur das Konglomerat junger, noch
unentwickelter Völkermassen in Nord- und Mitteleuropa,
 
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