172 ANNA TUMARKIN.
was man tun und denken, was man erleben mag, jedes einzelne Er-
lebnis in Beziehung zu etwas anderem zu bringen, es als Mittel zu
betrachten zu einem höheren Zweck, nachdem man einmal den Schwer-
punkt aus sich hinausverlegt hat, immer über sich hinauszustreben,
hinauszustreben über das augenblicklich Gegebene zu etwas anderem,
das so lange als Ziel betrachtet wird, bis es erreicht ist, um dann
selbst herabzusinken zum Mittel; das ewige Streben nach dem Abso-
luten, das allem Wirklichen den Charakter der Relativität gibt. Und
dem gegenüber steht die entgegengesetzte — zentripetale — Tendenz,
alles Geschehende auf sich selbst zu beziehen, nach dem Eindruck zu
beurteilen, den man selbst davon bekommt, sich selbst, seine eigene
Gefühlsart zum Richter, zum Maßstab der Welt machend, im Erlebnis,
im Moment volle Befriedigung findend, im Wirklichen das Ideal er-
blickend.
Für jene erste Tendenz steht das Ich immer im Dienste eines
Höheren, das gesucht wird, für diese letzte existiert Alles nur, insofern
es in diesem Ich sich spiegelt; dort wird das augenblickliche Erlebnis
nach seiner Bedeutung für die Ewigkeit gemessen, hier das Einzel-
erlebnis nach seinem selbständigen Wert geschätzt, so daß es viel-
leicht keiner anderen Ewigkeit mehr bedarf, als der im einzelnen in-
tensiv gelebten, vollgenossenen Augenblick enthaltenen. Jene erste
Tendenz würde, einmal entfesselt, nie mehr zur Ruhe kommen, ein
»wozu« würde immer das andere ablösen, ein Ziel dem anderen ent-
fernteren weichen, wenn der Mensch nicht um seiner Selbsterhaltung
willen seinem Streben willkürlich eine Grenze setzte, jene Bewegung,
die er einmal begonnen hat und die sich selbst überlassen ins Un-
endliche gehen würde, an einem Punkte gewaltsam unterbräche und
sich jeweilen ein letztes Ideal setzte, um in seinem unendlichen Streben
einen festen Stützpunkt zu gewinnen.
Eine selbstgesetzte Grenze des ethischen Strebens ist also jenes
sittliche Ideal, das nicht ein natürliches Produkt der ethischen Grund-
tendenz des menschlichen Wesens ist, sondern vielmehr eine Über-
tragung der entgegengesetzten ästhetischen Tendenz auf das ethische
Gebiet. Je ausgeprägter die ethische Anlage des Menschen, desto
schwerer befriedigt ihn ein gegebenes festgesetztes Ideal, an dessen
Stelle bei ihm eine bloß allgemeine Idee von sittlicher Vollkommenheit
tritt; und so ist vielleicht der wirklich ethisch angelegte Mensch nicht
der, welcher im festen unerschütterlichen Vertrauen sein Ideal unverwandt
verfolgt, sondern der, welcher keines hat, weil ihm keines genügt, der
im leidenschaftlichen Ringen nach einem Ideal sucht, ohne es zu finden.
Bei der ästhetischen Wertung hingegen, bei der der Mensch nicht aus
sich hinausstrebt, sich flieht, sondern in sich ruht, jeden Augenblick
was man tun und denken, was man erleben mag, jedes einzelne Er-
lebnis in Beziehung zu etwas anderem zu bringen, es als Mittel zu
betrachten zu einem höheren Zweck, nachdem man einmal den Schwer-
punkt aus sich hinausverlegt hat, immer über sich hinauszustreben,
hinauszustreben über das augenblicklich Gegebene zu etwas anderem,
das so lange als Ziel betrachtet wird, bis es erreicht ist, um dann
selbst herabzusinken zum Mittel; das ewige Streben nach dem Abso-
luten, das allem Wirklichen den Charakter der Relativität gibt. Und
dem gegenüber steht die entgegengesetzte — zentripetale — Tendenz,
alles Geschehende auf sich selbst zu beziehen, nach dem Eindruck zu
beurteilen, den man selbst davon bekommt, sich selbst, seine eigene
Gefühlsart zum Richter, zum Maßstab der Welt machend, im Erlebnis,
im Moment volle Befriedigung findend, im Wirklichen das Ideal er-
blickend.
Für jene erste Tendenz steht das Ich immer im Dienste eines
Höheren, das gesucht wird, für diese letzte existiert Alles nur, insofern
es in diesem Ich sich spiegelt; dort wird das augenblickliche Erlebnis
nach seiner Bedeutung für die Ewigkeit gemessen, hier das Einzel-
erlebnis nach seinem selbständigen Wert geschätzt, so daß es viel-
leicht keiner anderen Ewigkeit mehr bedarf, als der im einzelnen in-
tensiv gelebten, vollgenossenen Augenblick enthaltenen. Jene erste
Tendenz würde, einmal entfesselt, nie mehr zur Ruhe kommen, ein
»wozu« würde immer das andere ablösen, ein Ziel dem anderen ent-
fernteren weichen, wenn der Mensch nicht um seiner Selbsterhaltung
willen seinem Streben willkürlich eine Grenze setzte, jene Bewegung,
die er einmal begonnen hat und die sich selbst überlassen ins Un-
endliche gehen würde, an einem Punkte gewaltsam unterbräche und
sich jeweilen ein letztes Ideal setzte, um in seinem unendlichen Streben
einen festen Stützpunkt zu gewinnen.
Eine selbstgesetzte Grenze des ethischen Strebens ist also jenes
sittliche Ideal, das nicht ein natürliches Produkt der ethischen Grund-
tendenz des menschlichen Wesens ist, sondern vielmehr eine Über-
tragung der entgegengesetzten ästhetischen Tendenz auf das ethische
Gebiet. Je ausgeprägter die ethische Anlage des Menschen, desto
schwerer befriedigt ihn ein gegebenes festgesetztes Ideal, an dessen
Stelle bei ihm eine bloß allgemeine Idee von sittlicher Vollkommenheit
tritt; und so ist vielleicht der wirklich ethisch angelegte Mensch nicht
der, welcher im festen unerschütterlichen Vertrauen sein Ideal unverwandt
verfolgt, sondern der, welcher keines hat, weil ihm keines genügt, der
im leidenschaftlichen Ringen nach einem Ideal sucht, ohne es zu finden.
Bei der ästhetischen Wertung hingegen, bei der der Mensch nicht aus
sich hinausstrebt, sich flieht, sondern in sich ruht, jeden Augenblick