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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0280
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Besprechungen.

Wilhelm Jerusalem, Wege und Ziele der Ästhetik. Sonderabdruck aus
des Verfassers »Einleitung in die Philosophie«. 3. Aufl. Wien u. Leipzig,
Wilhelm Braumüller, 1906. kl. 8°. 39 S.

Mit H. v. Stein bestimmt Verf. den Begriff der Ästhetik als Philosophie des
Fühlens. Ihre Aufgabe sieht er darin, daß sie die Gesetze des künstlerischen
Schaffens sowie die des ästhetischen Genießens zu untersuchen habe, »um auf
diesem Wege zu Normen zu gelangen, welche die günstigsten Bedingungen für die
Entstehung und Herstellung des Ästhetisch-Wertvollen feststellen«. Der erste Teil
dieser Aufgabe ist »naturgemäß« »vorwiegend« Psychologie; die Sache mit den
Normen aber bringt die Ästhetik in Zusammenhang mit metaphysischen und ethi-
schen Problemen (man sieht nicht recht, wie), »wodurch eben der philosophische
Charakter der Ästhetik gewahrt bleibt«.

»Wege und Ziele der Ästhetik« nun sucht Verf. anzudeuten durch Einführung
genetischer und biologischer Gesichtspunkte. Für die biologische Grund-
legung geht Verf. von dem Hauptproblem der Ästhetik, dem ästhetischen Genießen,
aus. Er gründet dieses auf die Freude am Spiel, und diese wiederum auf Funk-
tionslust. Das ästhetische Genießen ist als eine Art von Funktionslust aufzufassen;
und zwar unterscheidet er sensuelle, intellektuelle und emotionale Funktionslust.
»Was die sensuelle Funktionslust auslöst, das erscheint uns angenehm oder ge-
fällig, was den Verstand angenehm beschäftigt, das finden wir interessant.
Für die Vorgänge aber und für die Beschäftigungen, die von emotionaler Funktions-
lust begleitet sind, hat die Sprache die Ausdrücke Reiz, reizend und reizvoll
gebildet« (?). Allgemein heißen Objekte, welche die Funktionslust erregen, schön.
Das Wort Schönheit hat aber noch eine weitere Bedeutung. Wenn wir ein Objekt
schön nennen, so meinen wir damit nicht bloß, daß es unser Wohlgefallen erregt;
sondern wir fühlen auch Dankbarkeit gegen dasselbe, Zuneigung, ja Liebe. Wo
ein Künstler uns Liebe für seine Gestalten erweckt, hat er die höchste ästhetische
Wirkung erzielt — eine Wirkung, die zur bloßen Funktionslust hinzutritt. Der Zu-
sammenhang von Liebe und Schönheit ist nicht so, wie er gewöhnlich gefaßt wird,
daß diese als die Ursache jener erscheint. Viel häufiger noch als die Ursache ist
Schönheit die Wirkung der Liebe. Der Mutter erscheint das Kind schön, das andere
häßlich finden.

Die zweite Aufgabe der Ästhetik ist es, die Gesetze des künstlerischen Schaffens
zu erforschen. »Das künstlerische Schaffen ist zunächst Spiel als Betätigung des
Schaffensdranges und wird im Laufe der Kulturentwickelung zur ernsten sozialen
Arbeit, die sich die Vermehrung des Menschenglückes zum Ziele setzt. In seiner
höchsten Vollendung aber ist das künstlerische Schaffen eine Art von Liebeswer-
bung . .. Homer wirbt um Liebe für Achill und Odysseus, Raffael für die göttliche
Madonna, Shakespeare nicht nur für den philosophierenden Dänenprinzen und für
den unglücklichen König Lear, sondern auch für Falstaff, diesen Abschaum der
 
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